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Aachen: Der Jahrhunderthit wird wenig geliebt

Aachen : Der Jahrhunderthit wird wenig geliebt

Mit 75 Millionen verkauften Alben sind die Scorpions die erfolgreichste deutsche Rockband aller Zeiten. In Berlin werden sie am 21. Februar mit dem Deutschen Musikpreis Echo für ihr Lebenswerk geehrt. Ihre Hits wie „Blackout”, „Still Loving You” und „No One Like You” gelten als Klassiker.

Im Interview erzählt Gitarrist Matthias Jabs, seit 1978 Mitglied der Scorpions, wie sie 1989/90/91 förmlich überrollt wurden vom Erfolg von „Wind of Change”, und die Band, die sich eigentlich als Hard-Rock-Band verstand, „die Balance verlor”. Und was sie bewogen hat, ihre ureigene Musikrichtung vorübergehend zu verlassen.

Bei der Auszeichnung für ein „Lebenswerk” denkt man eigentlich an ältere Herrschaften, die schon viel, wenn nicht alles hinter sich haben. Wo würden Sie sich da einordnen?

Jabs: Der Anfang, ältere Herrschaften, die schon viel hinter sich haben, ist gar nicht so verkehrt. Das trifft sogar zu. Ansonsten weiß ich, was Sie meinen. Für uns ist das der zweite Echo. Den ersten haben wir 1992 in Köln bekommen. Dort erhielt unser Freund und Kollege Udo Lindenberg den Echo für sein Lebenswerk. 17 Jahre später ist er wieder nominiert. Und wir sind gerade im Studio und nehmen eine neue Platte auf. Also es heißt nicht unbedingt, dass man mit dem Preis fürs Lebenswerk auch gleichzeitig die Ausladungskarte bekommt.

Was bedeutet die Auszeichnung?

Jabs: Sie bedeutet eine wohlverdiente Anerkennung, und es ist einer der drei bedeutendsten Preise neben dem Grammy und dem Brit Award. Insofern ist er schon wichtig, ich freue mich darüber.

Wie würden Sie Ihr Lebenswerk denn selbst konkret beschreiben?

Jabs: Ich würde sagen, dass wir praktisch unsere gesamte Lebensenergie und Musik der Band gewidmet haben. Ich mache das ja länger als die Hälfte meines Lebens. So etwas wie Soloprojekte gibt es bei uns gar nicht. Wir konzentrieren uns als Band auf unser Spielfeld, und das ist die ganze Welt.

Sie sind seit 1978 dabei und gehören zur erfolgreichsten Besetzung der Scorpions. Wer ist denn der eigentliche Geist der Band?

Jabs: Der Gründer ist natürlich Rudolf Schenker, er hat schon 1965, vor über 40 Jahren, mit einer Schülerband angefangen, die hieß damals schon Scorpions. Er ist sicher der treibende Geist und Motor bis heute. Wir haben aber doch einen starken Teamgeist entwickelt. Bei uns gibt es keine Hierarchie. Es geht bei uns ziemlich demokratisch zu.

Es ist nicht selbstverständlich für eine deutsche Band, dass sie von Anfang an mit englischen Texten arbeitet. Was war die Motivation?

Jabs: In der Zeit, in der wir anfingen, haben wir nur englische und amerikanische Rockmusik gehört, die uns stark beeinflusst hat. So etwas wollten wir auch machen. Dass das Englische das einzige Ticket ist, um in die ganze Welt hinauszugehen und überall spielen zu können, war uns dabei gar nicht so bewusst. Heute wissen wir es. Hätten wir in Deutsch gesungen, wären wir nie in Südkorea aufgetreten oder in Argentinien. Dass die deutsche Sprache in der Musik einen gewissen Coolness-Faktor bekommen hat, ist erst Udo Lindenberg zu verdanken. In den Anfängen waren das ja doch eher Peter Kraus und Schlager. Das war nicht unbedingt eine reizvolle Angelegenheit für uns.

Im deutschsprachigen Raum werden die Scorpions sehr schnell gleichgesetzt mit „Wind of Change”. Wie kommt das?

Jabs: Das hat damit zu tun, dass der Song über seine musikalische Qualität hinaus vereinnahmt wurde mit dem zeitgleich stattfindenden Mauerfall und der Öffnung gen Osten. Das alles ist ja gar nicht so beabsichtigt gewesen. Der Song ist 1989 geschrieben worden über die Veränderung, die wir in Russland bemerkt hatten, und ist in Moskau entstanden. Der Song handelt ja auch davon. Wir sind damals zweimal bei dem Moskau Peace Festival im Stadion aufgetreten, wir hatten damals schon eine unheimliche Popularität. Dort ist uns die Inspiration zu diesem Song gekommen. Dann fiel plötzlich die Mauer, ganz Deutschland umarmte sich selbst mit diesem Song. Insofern hat er hierzulande eine ganz andere Bedeutung als in anderen Ländern, wo er einfach nur ein schönes Stück Musik ist. Hinzu kommt noch, dass die Radiolandschaft ziemlich verweichlicht ist und nur noch Musik spielt, die die Hausfrau nicht beim Bügeln stört.

Dieser Song hat, wie auch immer, für einen enormen Drive gesorgt. Verändert so ein Ereignis auch den Anspruch einer Band?

Jabs: Es hat in unserem Fall eher für eine Form der Verunsicherung und Verwirrung gesorgt. Bis dahin hatten wir eine ganz konsequente Art von Musik gemacht. Als dann dieser Song, der eigentlich ein Ausnahmesong ist, auch weltweit unglaublich erfolgreich wurde, hat es uns insofern leicht aus der Balance gebracht, weil der Focus plötzlich auf einem einzigen Lied lag, während wir schon die zwölfte Langspielplatte herausgebracht hatten. Und 140 Songs standen dagegen, die ja eigentlich unsere musikalische Karriere darstellten. Auf einmal kamen in Deutschland Leute zu unseren Konzerten, die sonst nie gekommen wären. Wir haben zuerst zwei Stunden lang sehr laut gespielt - das mussten sie erst einmal ertragen, bevor sie „Wind of Change” in der Zugabe bekamen. Das war eine nicht hundertprozentige Situation.

Das klingt so, als ob Sie mit dem Song nicht so richtig glücklich sind.

Jabs: Es ist schön, Erfolg zu haben, deshalb kann hier von unglücklich sein nicht die Rede sein. Aber es ist so, dass er proportional nicht richtig hineinpasste. Er hat für eine gewisse Unwucht gesorgt.

Sie haben vor Gorbatschow gespielt, was war das für ein Gefühl?

Jabs: Das war eigentlich ein sehr ungewöhnliches Gefühl. Wir waren wenige Tage, bevor er sich als Präsident zurückgezogen hat, im Kreml und haben ungefähr eine dreiviertel Stunde mit ihm gesprochen. Dann haben wir ihm und seiner Frau „Wind of Change” auf der Akustikgitarre vorgespielt. Hintergrund war auch der, dass wir den Song auf Russisch aufgenommen hatten und alle Einnahmen Kinderkrankenhäusern haben zukommen lassen. Das war eine Aktion seiner Frau, deshalb hatte er auch ein besonders offenes Ohr dafür.

Trifft es zu, dass Sie in Japan und in den USA sehr viel erfolgreicher sind als in Deutschland?

Jabs: Zurzeit kann man das so sagen. Es gibt aber Länder in denen wir noch erfolgreicher sind.

Zum Beispiel?

Jabs: Wir haben jetzt eine sehr erfolgreiche Tour durch Südamerika gemacht, in Ländern wie Brasilien und Mexiko. Dort spielen vor vor 35.000 bis 40.000 Menschen in Baseball-Stadien und Stierkampf-arenen. Wir haben eine große Russlandtour hinter uns und waren die ersten, die in Wladiwostok, also weit östlich von Moskau, gespielt haben. Wir werden das dieses Jahr in Stadien wiederholen mit Vorgruppen wie Alice Cooper, Nightwish und anderen. Wir würden dieses Jahr auch endlich einmal wieder Konzerte in Deutschland geben. Die Fans beschweren sich allmählich, und das wollen wir natürlich nicht.

Zeitweise haben Sie mit verschiedenen Stilen experimentiert, bis Sie mit „Unbreaka-ble” zu Ihren Hard-Rock-Wurzeln zurückgekehrt sind. Was war der Grund?

Jabs: Der Grund, weshalb wir etwas anderes gemacht haben zwischendurch, liegt einmal in der Anfrage der Berliner Philharmoniker 1995. Zusätzlich gab es Mitte der 90er so eine Welle von Alternative-Musik, dann kam Grunge, und plötzlich hieß es, die Musik der Eightys sei total out. Wenn man das permanent hört, wird man innerlich leicht verwirrt und sagt sich, hier müssen wir etwas unternehmen. Wir haben dann mit „Eye to Eye” Ende der 90er ein Stilgemisch gezeigt, mit dem wir selbst nicht ganz glücklich waren. Es spiegelt aber doch die eben angesprochene Verwirrung wider. Dann dachten wir, wir machen jetzt etwas ganz anderes. Insofern haben wir uns eine gewisse Auszeit gegönnt mit den Berliner Philharmonikern und dem „Acoustica”-Album von 2001. Das übrigens auf der ganzen Welt erfolgreich war und uns in Brasilien den Diamond Award eingebracht hat.