Wegberg/London : Der „Glaspapst” tüftelt sogar im Schlaf
Wegberg/London Das British Museum in London. Ein Prunkstück gefällig? Der Stein von Rosette zum Beispiel, den der französische Offizier Pierre François Xavier Bouchard während der ägyptischen Expedition Napoleons am 15. Juli 1799 im Niltal fand und der den Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen darstellte.
Es ist nur eines von sehr, sehr vielen. Das British Museum in London ist seit 1850 eines der größten und bedeutendsten kulturgeschichtlichen Museen der Welt. Diese „Institution britischen Selbstbewusstseins” wird der in Erkelenz geborene, in Wegberg wohnende und in seiner großen Werkstatt in Hückelhoven-Ratheim arbeitende Detlef Tanz (61) in den kommenden Monaten nachhaltig verändern. Nur äußerlich, versteht sich.
Die Fassade des dringend nötig gewordenen Anbaus des British Museum soll mit 1600 Glaselementen bestückt werden. Die sind von Tanz entworfen und geplant, und er selbst wird sie im letzten Schritt mit der Hand nacharbeiten. „Da wird am Ende eine Glasfläche von 2400 Quadratmetern gestaltet”, sagt Tanz. Die zündende Idee, die letztlich den Zuschlag für den Auftrag bedeutete: „Ich verwende jetzt statt Wasser Alkohol als Trennmittel, um so eine chemische Reaktion der Form mit dem flüssigen Glas zu vermeiden.” So wird der Rand glasklar und kann die gewünschte, ganz besondere Wirkung entfalten. Die Eingebung kam ihm irgendwann „in den frühen Morgenstunden im Halbschlaf” - wie das bei Künstlern eben so ist.
In seiner Ratheimer Werkstatt hat er die Prototypen der 4,92 Meter langen und 28,5 Zentimeter breiten Scheibenelemente entworfen und in den Öfen an der Kirchstraße bei 800 bis 950 Grad Celsius gebrannt: „In jedem Element wird die Küstenlinie von Portland stilisiert.” Warum ausgerechnet Portland? „Da kommt der Stein her, mit dem das British Museum gebaut ist.” Okay, very british.
Leuchten für die Elbphilharmonie
Die Tanzschen Muster für die Glaselemente sind inzwischen von dem für den Bau zuständigen Architekturbüro in London abgenickt worden. Zurzeit werden sie in Spezialöfen der Firma Kang Yu in Shanghai geschmolzen und gesandstrahlt. „Die haben da 23 Brennöfen, sechs mal vier Meter; die können sowas schmelzen”, sagt Tanz, der die Produktion der ersten fünf Platten in China persönlich im Auge behielt. Abschließend wird den 1600 Elementen in Handarbeit sozusagen der Feinschliff gegeben; jedem Stück einzeln. Eine Menge Arbeit: „Ich rechne mit drei bis vier Stunden pro Platte”, überschlägt der Glaskünstler. Ende September wird die erste große Teillieferung der Glaselemente in London eintreffen. „Wir liegen gut im Zeitplan”, sagt Tanz.
Es ist nicht der erste spektakuläre Auftrag für den Glasfachmann Detlef Tanz. In Tokio beispielsweise hat er in Zusammenarbeit mit der Architektin Keiko Miura für die Fassade der Eingangshalle des Roppongi Hills Tower ein Wandrelief in seiner Ratheimer Werkstatt gefertigt: „4,5 Tonnen optisches Glas wurden dafür in Form geschmolzen.” Und anschließend in mehr als tausend Stunden geschliffen und poliert.
Für die neuen Kirchenfenster im englischen Cambridge etwa hat er Fotografien in Glas eingearbeitet - eine ganz neue Technik, die Tanz eigens für dieses Projekt ausgetüftelt hat. Für die heftig umstrittene Elbphilharmonie in Hamburg hat er den Auftrag für die Beleuchtung in der Tasche: „Da sollen 1600 Glaselemente installiert werden”, sagt Tanz. Lämpchen - natürlich glastechnisch solche der besonderen Art. „Fünf Firmen haben sich um den Auftrag beworben. Wir waren die Einzigen, die die Vorgaben des verantwortlichen Architekturbüros Herzog & de Meuron erfüllen konnten.”
„Fritten” und „Konfetti”
Jede der 1600 Leuchten wird einzeln mundgeblasen. „Dafür habe ich einen Tschechen gewonnen. Das ist einer der führenden Glasbläser weltweit, sowas wie der Eric Clapton des Glases”, sagt Tanz. Und wie heißt der Virtuose an der Glaspfeife? „Das werde ich nicht verraten.” Es gibt in diesem Gewerbe eine Menge Betriebsgeheimnisse.
Tanz eilt inzwischen der Ruf des „Glaspapstes” voraus, in Europa ist er unbestritten der Experte Nummer eins in Sachen Fusing-Technik. „Das ist eine Technik, bei der verschiedenen Glasstücke zusammengeschmolzen werden.” Da gibt es „Fritten”, das sind kleine, zerstoßene Glasstücke; oder „Stringers”, das sind dünne Glasfäden; oder „Konfetti”, das sind hauchdünne Glasplättchen - alle diese Elemente können der Schmelzmasse zugefügt werden.
In den fast 30 Jahren, in denen sich Detlef Tanz mit Glas beschäftigt, hat er in Indien Seminare gehalten und an den Hochschulen in Oslo und in Bergen; oder er hat für den Glasinnungsverband NRW in Heiligendamm sein Fachwissen weitergegeben („Das Verhalten des Glases im Schmelzprozess” etwa), und er hatte einen Lehrauftrag an der FH Dortmund.
Derzeit stellt er Skulpturen seiner Frau Martina Zilles - sie ist die treibende künstlerische Kraft hinter dem „Glaspapst” Detlef Tanz - im Ajeto Glasmuseum im tschechischen Novy Bor aus, einem der bedeutendsten Zentren für moderne Glaskunst. Die Skulpturen stellen eine Integration von Glas und Keramik dar, wiederum eine Technik, die Tanz entwickelt hat. Wahrscheinlich kam ihm auch diese Idee irgendwann im Halbschlaf.
Ausstellung in der Tüschenbroicher Ölmühle
Arbeiten von Detlef Tanz und Martina Zilles sind in der Ölmühle in Wegberg-Tüschenbroich an der Tüschenbroicher Mühle zu sehen.
Bis Mitte September werden auch die neuen Skulpturen aus Glas mit Keramik ausgestellt.
Die Öffnungszeiten: freitags und samstags von 15 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 18 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter: Tel. 0172/2018943.