Aachen : Der beschwerliche Weg zum „fließenden Falschsprecher“
Aachen Der Krieg ist in jedem Deutschkurs spürbar. Das sagt Thekla Styma von der Sprachenakademie Aachen. Seit einem Jahr schon besuchen besonders viele Syrer die Sprach- und Integrationskurse dort. Menschen, die vor dem Krieg geflohen, und „hoch motiviert“ sind, wie Styma sagt. Trotzdem kann es vorkommen, dass ein Teilnehmer mal mehrere Tage nicht erscheint.
Wenn Styma und ihre Kollegen dann in persönlichen Gesprächen nach den Gründen für das Fernbleiben fragen, bekommen sie oft tragische Geschichten zu hören.
„Junge Menschen berichten, dass Verwandte durch Bomben getötet wurden“, sagt Styma. Davon seien die Flüchtlinge traumatisiert, sie könnten oft nachts nicht schlafen. „Das beeinflusst natürlich auch das Aufnahmevermögen.“ Ein Deutschkurs für Migranten und Flüchtlinge sei deshalb nicht mit einem Spanischkurs bei der Volkshochschule vergleichbar — auch, wenn inhaltlich Ähnliches gelehrt werde. In der ersten Stunde stellen sich alle vor. Es wird viel mit Bildern gearbeitet. Manch ein Teilnehmer muss erst noch lesen und schreiben lernen.
Wer nach Deutschland als Asylbewerber kommt, hat zunächst keinen Anspruch auf einen Inte-grationskurs. Erst mit einem Aufenthaltstitel haben Flüchtlinge darauf einen Anspruch. Der beinhaltet 600 Deutschstunden und 60 Orientierungsstunden, in denen die Teilnehmer deutsche Kultur und deutsches Recht kennenlernen.
Die Sprachenakademie und andere Träger wie die Volkshochschule bieten häufig neben den Integrationskursen noch andere Sprachkurse. An einigen Volkshochschulen gibt es ein vom Land gefördertes Sprachprogramm. Die Integrationskurse zahlt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf).
„Die Menschen, die herkommen, wollen direkt etwas lernen“, sagt Ulrike Kilp, Direktorin des Landesverbands der Volkshochschulen NRW. Sie fordert, dass die Kurse geöffnet werden. Doch selbst, wenn die Politik das ermögliche, gäbe es ein strukturelles Problem. Es gibt schlichtweg zu wenige Kurse. Wer nach im Schnitt sechs Monaten Wartezeit anerkannt wird, kann sich anmelden. „Bei uns wartet man im Schnitt sechs Monate auf einen Platz in einem der Integrationskurse“, sagt Kai Müller, Geschäftsführer der Sprachenakademie.
Qualifizierte Lehrkräfte fehlen
Auch bei den Volkshochschulen sind die Wartelisten lang, erklärt Kilp. Und das jetzt schon. Die Menschen, die sich zurzeit anmelden, sind aber bereits seit mindestens drei Monaten in Deutschland. „Die große Welle schwappt erst verspätet zu uns rüber“, sagt Kilp. Räume könnte Müller noch auftreiben, aber qualifizierte Lehrkräfte fehlen, sagt er.
Wer Flüchtlinge unterrichtet, muss neben formalen Bedingungen, die das Bundesamt vorgibt, auch menschlich viel mitbringen. Ein Germanistikstudium und Lehrerfahrung reichen nicht. „Die Lehrkräfte müssen soziale Kompetenzen haben, vielleicht auch Lebenserfahrung und politisches Wissen“, sagt Müller. Die Teilnehmer der Integrationskurse sind keine homogene Gruppe. Aus diesem Grund gibt es unterschiedliche Lehrpläne für die Kurse.
Religiöse und politische Konflikte
Trotzdem: Es sitzen Menschen mit unterschiedlichen Biografien nebeneinander. Manche müssen erst wieder lernen, vier Stunden am Stück zu sitzen und zu lernen. Auch die religiösen und politischen Konflikte werden in den Kursraum mitgenommen. Dafür sollte ein Lehrer ein Gespür besitzen, sagt Müller. Es sitzen Menschen nebeneinander, die sonst eher nicht miteinander sprechen würden, etwa ein Türke und ein Kurde. Das sei auch für die Lehrkräfte nicht immer einfach.
Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten, ist aber nicht nur anstrengend und mitunter belastend, sondern auch „ökonomisch oft nicht besonders interessant“, wie Müller sagt. Das Bundesamt gibt 2,94 Euro pro Teilnehmer und Stunde.
„Die Integrationskurse sind nicht auskömmlich finanziert“, sagt Kilp. Erst vor zehn Tagen haben in Köln Lehrkräfte der VHS für mehr Geld demonstriert. Viele der Honorarkräfte leben in prekären Verhältnissen. Die 2,94 Euro fließen in Honorar, Miete, Materialien und Verwaltung. „Wir sind einer der wenigen Träger, der seine Lehrkräfte fest anstellt“, sagt Müller. Das könne man sich nur leisten, weil man die Integrationskurse quer subventioniere.
Wenn er sich etwas wünschen könnte, wäre das mehr Geld, kleinere Gruppen — statt 20 nur 15 Personen — und auch, dass Weiterbildung nach dem Integrationskurs finanziert würde.
Die Teilnehmer erreichen das Sprachniveau B1. Was sie damit können? Alltagsgespräche führen, einkaufen gehen, nach dem Weg fragen, über sich und Hobbys sprechen. „Es geht vor allem um Kommunikation, weniger um Grammatik, und auch nicht jeder Artikel ist richtig“, sagt Styma. Dafür gebe es den Begriff „fließende Falschsprecher“.
Tragisch sei es, dass die meisten Menschen mit dem B1-Niveau beruflich nicht viel anfangen können. „Dafür benötigt man ein höheres Sprachniveau“, sagt Müller. Die Beratung und der Unterricht seien nicht immer leicht. „Manchen Flüchtlingen wird erst hier bewusst, dass sie ihren alten Lebensstandard wohl nicht so schnell wieder erlangen können.“ Die Politik habe den Bedarf an Kursen lange unterschätzt. „Hätte man sich früher dazu bekannt, Einwanderungsland zu sein, gäbe es jetzt vielleicht bessere Strukturen.“