Köln/Aachen : Der Archiv-Einsturz als bösartige Satire
Köln/Aachen „Schüchtern angefragt” hat sie bei der Nobelpreisträgerin, erzählt Intendantin Karin Beier. Ob sie nicht ein Stück für das Schauspiel Köln schreiben könne. Und Elfriede Jelinek hat in die Tasten gegriffen.
Herausgekommen ist die Satire „Ein Sturz” über den Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Mit diesem und zwei weiteren Werken der Österreicherin startet die erfolgreiche Theater-Chefin in die Saison. Gerade erst wurde sie zur „Regisseurin des Jahres” und ihr Haus zum „Schauspiel des Jahres” gekürt. Wie sie mit dem Erfolgsdruck umgeht, erklärt die 44-Jährige im Gespräch mit Jenny Schmetz.
Nach den jüngsten Erfolgen sind die Erwartungen vor Ihrem Saisonstart schrecklich hoch. Wie leben Sie damit?
Karin Beier: Als wir hier vor drei Jahren eröffnet haben, war es ähnlich: Da lag die Latte so hoch, dass wir eigentlich nur stolz darunter durchgehen konnten. Die Presse verfolgt unsere Arbeit jetzt natürlich erst recht mit Argusaugen und schmalen Lippen. Formulierungen wie „enttäuschend” oder „unter Niveau” sind da schnell geschrieben. Aber wir müssen uns von diesem äußeren Druck freimachen.
Sie lesen also keine Zeitung mehr?
Beier: Kritiken lese ich sowieso nicht.
Ach?
Beier: Unterschätzen Sie nicht den Narzissmus des Regisseurs! (lacht) Gute Kritiken sind nie gut genug, und schlechte machen immer eine schlechte Stimmung. Meine Mitarbeiter berichten mir aber vom Presseecho.
Das wird zum Start sehr laut sein: Da zeigen Sie einen Dreierpack von Elfriede Jelinek. Ihre erste Jelinek-Inszenierung.
Beier: Ja, diese Arbeit hat mich extrem viel an Vorbereitung und Herzblut gekostet. Seit Februar arbeite ich an der Inszenierung. Aber ich gehöre nicht zu den Regisseuren, die sagen: Nie wieder Jelinek!
Obwohl sich an ihren eher undramatischen Textmassen ja schon einige die Zähne ausgebissen haben.
Beier: Ihre berühmten Sprachflächen ohne Figuren, Dialoge, Handlung sind eine enorme Herausforderung. Jelinek nimmt einen zwar nicht mit auf eine große emotionale Reise. Aber wenn man ihre Assoziationsfelder begreift, dann können ihre Stücke ein intellektueller Genuss werden.
In Düsseldorf gab es jüngst Tumulte bei Jelineks „Rechnitz”. Sind solche Reaktionen auch in Köln zu erwarten?
Beier: Dieselbe Inszenierung hätte in Köln sicherlich nicht diese Proteste ausgelöst. Das Kölner Publikum ist sehr aufgeschlossen und weiß, was es bei Jelinek erwartet.
Mit „Ein Sturz” erwartet das Kölner Publikum der Einsturz seines Stadtarchivs: zwei Tote, Milliardenschäden, eine ungeklärte Schuldfrage. Jelinek veröffentlicht den Text vor der Premiere nicht. Zu brisant?
Beier: Das kommt darauf an, was Sie unter „brisant” verstehen. Blutrünstig wie der Kannibalen-Dialog in „Rechnitz” wird es nicht, aber der Text kann wegen Jelineks kalkulierter Unverschämtheit als politische Provokation empfunden werden.
Wem gibt Jelinek denn die Schuld?
Beier: Der Natur! Erde und Wasser. Es geht zwar um Verantwortung, Verdrängung und bürokratische Blauäugigkeit, aber nicht moralinsauer. Jelinek hat eine Tragödienparodie geschrieben, eine Satire, ironisch und bösartig. Da öffnet sich in der Leichtigkeit der Abgrund.
Meinen Sie, Stadt und Baufirmen können sich angegriffen fühlen?
Beier: Der ein oder andere Politiker wird schon im Original zitiert, und die Kölner Verkehrsbetriebe kommen auch nicht so gut weg......
Aber Proteste fürchten Sie nicht.
Beier: Ich bin da vorsichtig geworden. Direkt zu Beginn meiner Intendanz wurde ja ein „Nibelungen”-Plakat verboten. Es zeigte eine gefesselte Frau mit einer Mülltüte über dem Kopf. Das wurde als „frauenfeindlich” angesehen. Nun wird eine Katastrophe ins Lächerliche gezogen. Vielleicht wird das manche auch stören.
Drei Texte, drei problematische Bauprojekte - das ist die thematische Klammer des Abends.
Beier: Es sind drei Baugeschichten über die Hybris des faustischen Menschen, der meint, die Natur bezwingen zu können.
Bildet der Abend auch eine ästhetische Einheit im Inszenierungsstil?
Beier: Nein, ich möchte wie bei meiner Inszenierung von „Das goldene Vließ” drei Formen ausprobieren. Dabei folge ich den göttlichen Prinzipien von Apollon und Dionysos: Ordnung gegen Chaos. Der Abend fängt also sehr grafisch an und endet in der Ursuppe. Mehr werde ich aber noch nicht verraten!
Sie inszenieren in dieser Spielzeit nur ein Mal. Warum treten Sie kürzer?
Beier: Weil ich gerne die nächsten zehn Jahre überleben möchte! (lacht) Durch den langen Kampf um die Sanierung des Schauspielhauses habe ich im Büro viel nachzuarbeiten, die Sommerferien habe ich im Jelinek-Land verbracht, und nun war ich innerhalb kürzester Zeit schon zum dritten Mal krank. Ich muss einfach aufpassen.
Sehen Sie denn ab und zu auch Ihre vierjährige Tochter?
Beier: Ja, vier bis fünf Stunden am Tag. Das ist mir heilig! Gestern musste ich nach sechs Stunden Jelinek erst einmal zwei Stunden den Geburtstag von Mominas Puppe feiern. Auch ganz schön anstrengend.
Ihren Vertrag als Intendantin haben Sie kürzlich bis 2014 verlängert, aber Sie werden von anderen Bühnen kräftig umworben. Bleiben Sie Köln dennoch treu?
Beier: Keine Ahnung.
Ein Treueschwur klingt anders.
Beier: Wir müssen in der laufenden Spielzeit mit rund 1,3 Millionen Euro weniger auskommen, um die freie Theaterszene zu unterstützen - obwohl uns zunächst zugesagt wurde, dass unser Etat nicht gekürzt wird. Außerdem ist der Plan, unsere Studiobühne im Zuge der Sanierung des Schauspielhauses ab 2012 zu streichen, noch nicht vom Tisch. Vor allem die regierende SPD ist eine Verfechterin dieser Idee. Da sieht man, wie viel wir denen wert sind! Aber wohlgemerkt: Ich habe deshalb noch nicht mit meinem Abgang gedroht.