1. Kultur

Aachen: Das Dilemma um den Prostatakrebs-Test

Aachen : Das Dilemma um den Prostatakrebs-Test

Sie sorgt dafür, dass der Samen richtig flüssig ist und die Spermien den langen Weg bis zum Ei schaffen. Die Prostata ist ein Organ der Lust und der Fortpflanzung. Sie sitzt unter der Harnblase, ist bis zum 45. Lebensjahr kastaniengroß und wächst dann wieder, so dass die meisten älteren Männer unter einer gutartigen Prostatavergrößerung leiden.

Das erschwert das Wasserlassen, kann aber in aller Regel erfolgreich behandelt werden. Die bösartige Vergrößerung der Prostata hingegen ist der häufigste Krebs des Mannes. In Deutschland werden jährlich mehr als 30.000 Fälle neu diagnostiziert, 11.000 Patienten sterben in jedem Jahr. Damit belegen diese im Schnitt 77 Jahre alt gewordenen Betroffenen Platz drei in der Krebstodesstatistik. Den Tumor früh genug erkennen, kann Leben verlängern. Experten streiten aber seit Jahren und zurzeit wieder heftig darüber, ob die wichtigste Methode der Früherkennung dazu wirklich taugt: Das Dilemma des PSA-Tests.

Heilbare Tumore

PSA steht für „Prostata spezifisches Antigen”. Das ist ein Eiweiß, das den Samen flüssiger macht und das in geringen Dosen immer auch ins Blut abgegeben wird. Ab einer bestimmten höheren Konzentration besteht Krebsverdacht. Die Urologen empfehlen daher, dass alle Männer zwischen 50 - manche meinen sogar ab 45 - und 75 Jahren sich regelmäßig Blut abnehmen lassen (beim Haus- oder Facharzt), um ihren PSA-Wert zu bestimmen. Die 20 bis 25 Euro dafür muss man selbst bezahlen.

Die Krankenkassen verweigern die Kostenübernahme, weil die Nützlichkeit des Tests nicht nachgewiesen sei. Die Kassen stützen sich auf eine breite Front von wissenschaftlicher Kritik. Die lautet im Wesentlichen: Zwar entdeckt der PSA-Test viele kleine und heilbare Tumore. Die meisten davon aber würden unentdeckt nie zu einem Problem werden, weil sie so langsam wachsen, dass der Mann vorher an anderen Ursachen stirbt.

Aus der insgesamt dürftigen Datenlage werden solche Zahlen genannt: Von 100 Getesteten haben 50 Krebs. 40 davon würden ihn nie merken. Fünf wären unheilbar. Bleiben fünf, die, frühzeitig entdeckt, erfolgreich behandelt werden können. Das Problem: Selbst eine Gewebeprobe kann nicht sicher zwischen langsam wachsenden und aggressiven Tumoren unterscheiden. So werden, sagen die Kritiker, unnötig viele Männer den belastenden Folgen des Tests ausgesetzt: Biopsie, Bestrahlung oder Entfernung der Prostata, die wiederum zu Inkontinenz und Impotenz führen kann.

„Diese Überdiagnosen sind für die betroffenen Männer keine Hilfe, sondern ein echter Schaden”, sagt Professor Fritz Schröder. Er leitet die erste große Studie, die endlich aufklären soll, ob und wieviele Männer durch den PSA-Test gerettet werden können. Die Ergebnisse kommen aber erst 2008.

Die Urologen und ihre Verbände sagen nicht, dass die Kritik völlig falsch sei und räumen auch ein: „Derzeit können wir noch nicht auf abgesicherte und unangreifbare Studien hinweisen”, so der Präsident des Berufssverbands der deutschen Urologen, Klaus Schalkhäuser. Die Fachärzte wehren sich aber dagegen, dass der Test durch „überzogen negative” Darstellung in den Medien diskreditiert werde. Vor allem geht es ihnen um die Männer, die tatsächlich von dem Test profitieren.

Dass „der Nutzen nicht den Schaden überwiegt”, wie es der Medizinische Dienst der Krankenkassen behauptet: „So was kann man einfach nicht sagen”, empört sich Professor Gerhard Jakse, Chef der Urologie des Uniklinikums Aachen. Seine Argumente: Es gibt immer mehr jüngere Opfer. Und durch die allgemein steigende Lebenserwartung werden auch langsam wachsende Tumoren lebensbedrohlich. Deshalb, so Jakse, sei es so wichtig, Karzinome bei Männern rechtzeitig zu entdecken, die noch eine Lebenserwartung von zehn und mehr Jahren haben, wo es also zu Leiden durch Metastasenbildung kommen könnte.

"Kontrolliert beobachten"

Auch werde „fälschlicherweise hingestellt”, dass dem PSA-Test „automatisch” eine Gewebeprobe und eine Entfernung der Prostata folge. Unter „gewissen Voraussetzungen” könne man die Entwicklung des Krebses auch „kontrolliert beobachten”. Es sei eine „individuelle Entscheidung” des Patienten, was zu tun sei. Inkontinenz nach einer Totalentfernung der Prostata sei - so die Daten des Uniklinikums - nur in wenigen Fällen die Folge; Erektionsprobleme allerdings in gut 50 Prozent.

Doch auch Jakse weiß, dass „Kritik verständlich ist”. Vor allem die, dass viele Hausärzte und Urologen nicht gut über Vor- und Nachteile des PSA-Tests aufklären. „Wir müssen die Ärzte disziplinieren, die noch nicht ehrlich sind.” Das unterstreicht Professor Schröder im Deutschen Ärzteblatt: „Wir müssen die Männer ehrlich über alle Konsequenzen aufklären, die ein PSA-Test haben kann.”

So landet das Dilemma wieder bei den Hausärzten, den niedergelassenen Urologen - und ihren Patienten. Sie alle setzen enorme Hoffnung in den Test. Ein Hausarzt: „Das Thema ist so komplex, dass es fast meinen Horizont übersteigt. Aber die meisten Patienten, denen ich den Test empfehle, machen ihn auch.”