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Aachen: Christopher Lee: „Neugierig sein, neue Dinge ausprobieren”

Aachen : Christopher Lee: „Neugierig sein, neue Dinge ausprobieren”

Wer über Christopher Lee spricht, der bewegt sich unweigerlich im Bereich von Superlativen: Kein Schauspieler hat in mehr Filmen mitgespielt (unglaubliche 276 sind es bislang), keiner wird so eng mit einer Rolle in Verbindung gebracht (immer und immer wieder: Dracula), und ob es ältere aktive Filmschauspieler gibt (Ende Mai wurde er 90 Jahre alt), müsste erst noch bewiesen werden.

Wer dann aber die Gelegenheit hat, mit Christopher Lee zu reden, der trifft auf einen Mann, dem jeder Superlativ vollkommen wesensfremd zu sein scheint: Sir Christopher (2009 wurde er von Königin Elizabeth II. zum Ritter geschlagen) strahlt eine Art von Souveränität und Gelassenheit aus, die nicht nur mit der Erfahrung des Alters zu erklären sein kann. Er ist überaus kommunikativ, selbstironisch, unverstellt freundlich und völlig frei von Allüren. Man kann Filmemacher wie Tim Burton nur zu gut verstehen, die ihm bis heute immer wieder ihre Verehrung und Treue bezeugen.

Ein Siegelring und Karl der Große

Aufrecht - was bei 1,90 Meter Körpergröße eine imposante Erscheinung ergibt - und diszipliniert bewältigt der 90-Jährige in Begleitung seiner Frau Birgit am Montag in Aachen ein anspruchsvolles Programm. Zum ersten Mal ist er in der Stadt, sagt er, und vor allem natürlich als Unicef-Botschafter (siehe Titelseite). Aber dann zieht er einen Siegelring vom Finger und erzählt: von seiner Großmutter, die ihm diesen Ring geschenkt habe, von deren Herkunft aus dem alten Adelsgeschlecht Carandini, das sich bis zu Karl dem Großen zurückverfolgen lasse. Deshalb kann er es gar nicht erwarten, in den Dom zu kommen und dort den Karlsschrein zu sehen. Den Ring ziert übrigens das Wappen des Heiligen Römischen Reichs.

Über Karl und über seine Arbeit bei Unicef spricht er gern, über Dracula nicht. Wer derart reduziert wird auf eine Rolle, muss sich halt abgrenzen. Der Fürst der Finsternis war Fluch und Segen zugleich für Christopher Lee. Die Rolle brachte ihm Ende der 50er Jahre internationalen Ruhm ein, legte ihn jedoch gleichzeitig auf das Horror-Genre in vielen obskuren B-Movies fest. Spät hat er sich davon befreit, aber der „ewige Schurke” blieb er bis hinein in das neue Jahrtausend, bis hin zum finsteren Zauberer Saruman in „Herr der Ringe”.

Eine unglaubliche Karriere. Er selbst hat die Filme nicht gezählt, die er gedreht hat. Dass darunter auch einige sind, über die man lieber schweigen sollte, gibt er mit einem entwaffnenden Lächeln zu.

„Sir Christopher, warum aber haben Sie so viel gearbeitet - und tun es immer noch?”

So ganz verstehen kann er die Frage nicht. „Warum? Weil ich ein Schauspieler bin. Das ist mein Beruf, das ist mein Leben. Das ist das, was ich gerne mache und was ich machen möchte, solange ich lebe. Das ist besser, als im Sessel zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen.” Und dann erzählt er wieder von seinen Vorfahren mütterlicherseits, von den Carandinis, von der Urgroßmutter, die Opernsängerin war. „Das Schauspielern, die Stimme, auch das Singen: Es liegt mir halt im Blut.”

„Gibt es eine Rolle, die Sie gerne gespielt hätten?”

„Absolut: Don Quijote.”

„Warum?”

„Weil ich ihn verstehe. Er hatte ein Ziel, für das er einstand, für das er kämpfte. Er war ein entschlossener Mann.”

Entschlossen ist Christopher Lee auch. Und meinungsstark. Wenn man ihn auf seine Arbeit für Unicef anspricht, dann antwortet energisch ein Mann, der zwar von sich selbst behauptet, unpolitisch zu sein, der es jedoch nicht akzeptieren will, dass jedes Jahr Millionen Kinder sterben müssen, weil ihnen das Nötigste vorenthalten wird, weil Krieg ist. Ein Mann, der zugibt, nicht viel von Ökonomie zu verstehen, der es aber auch nicht akzeptieren will, dass „gierige Banken” mit krimineller Energie agieren dürfen und dann mit Millionenbeträgen gestützt werden.

Es sei seine Pflicht und Verantwortung, sich zu engagieren, sagt Christopher Lee. Mit dem Schaulaufen mancher Promi-Gutmenschen hat das nichts zu tun. Der 90-Jährige muss sich und anderen nichts mehr beweisen. Deshalb kann der ausgebildete Sänger und leidenschaftliche Opernliebhaber, der Wagner-Arien aus dem Stegreif intonieren kann, auch von seinen musikalischen Ausflügen in den Heavy Metal erzählen, als wäre es die normalste Angelegenheit der Welt. „Charlemagne: The Omens of Death” heißt sein aktuelles Album, das in wenigen Wochen erscheinen wird. Irgendwie hat es, wie der eher sinfonische Vorgänger „Charlemagne: By the Sword an the Cross”, mit Karl dem Großen zu tun, nur diesmal soll es richtig krachen.

„Warum gerade Heavy Metal, Sir Christopher?”

„Warum nicht? Man muss neugierig sein, man muss neue Dinge ausprobieren.”

Dass dies ein probates Rezept ist, um in Würde zu altern, dafür liefert er selbst den besten Beweis.