1. Kultur

Düsseldorf: Campino: „Ich gehe vielen Leuten unheimlich auf die Nerven“

Düsseldorf : Campino: „Ich gehe vielen Leuten unheimlich auf die Nerven“

Früher Nachmittag im Hauptquartier der Toten Hosen im Düsseldorfer Stadtteil Flingern. Campino ist müde, aber gut gelaunt. Gestern Abend stand er noch auf der Bühne, danach sah er sich bis in den Morgen Berichte über den Sieg des FC Liverpool an. Sein iPhone vibriert; als Klingelton hat der 55-Jährige Stadionjubel gewählt.

Vom Ritchie ist dran, Schlagzeuger der Hosen. Sie sprechen englisch, Campino sagt „Mannschestah“ statt „Mäntschester“, sie lachen viel. Als Campino auflegt, sagt er: „Vom ist so ein lustiger Typ!“ Mit Campino sprach anschließend Philipp Holstein.

Sie haben an Angela Merkel appelliert, sie möge durchhalten.

Campino: Ein direkter Appell war das nicht, vielmehr ein herausgerissener Nebensatz aus einem Interview. Viele Leute haben Freude daran, mich als Merkel-Freund darzustellen. In meiner Wunschwelt allerdings wäre der Kanzler oder die Kanzlerin jemand von den Grünen. Seit Anfang der 80er Jahre wähle ich nichts anderes. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, mein Kreuz bei der CDU zu machen. Aber wenn es um die Kanzlerfrage geht, setze ich mich hin und überlege, wie die machbaren Optionen aussehen.

Da sind Sie dann Realist?

Campino: Die Grünen werden den Kanzler auf absehbare Zeit nicht stellen. Also geht es für mich um die Vermeidung des Schlimmsten. Ich sehe bei den meisten Parteien keine Person, mit der ich mich wirklich wohlfühlen würde. Und von daher fände ich es gut, wenn Merkel sich noch mal in den Ring begibt.

Was schätzen Sie an ihr?

Campino: Sie steht außenpolitisch für Stabilität. Bei den ganzen Egomanen, die in der Welt regieren, kann sie sich als Frau mit anderen Mitteln den Problemen stellen als Männer wie Martin Schulz, der am verlorenen Wahlabend wie eine beleidigte Leberwurst kategorisch die Zusammenarbeit in einer Regierung ausschließt.

Sie mögen ihn nicht?

Campino: Für die wirklich schwierigen Themen ist dieser Mann anscheinend nicht zu gebrauchen. Wir Bundesbürger sind zur Wahl gegangen und haben angekreuzt, wer unserer Meinung nach das Land führen soll. Eine Partei, die aber nicht wirklich mitmachen und regieren will, die brauche ich auch nicht zu wählen. Das gilt auch für die FDP. Wenn wir vergessen haben sollten, warum die FDP vor vier Jahren noch auf dem Friedhof gelandet ist, dann hat uns diese Partei nun wieder bestens in Erinnerung gebracht, warum man sie gut und gerne vergessen kann.

Aber jede Partei hat das Recht zu sagen: Wir sind nicht mehr an Bord.

Campino: Das ja. Aber was mir nicht gefallen hat, ist die Inszenierung dieses Ausstieges. Wenn Christian Lindner Anstand gehabt hätte, wäre er zu den Vertretern der anderen Parteien gegangen und hätte gesagt: Leute, es läuft nicht, lasst uns geschlossen rausgehen und ein Statement abgeben. Stattdessen versuchte er selbst in dieser unglücklichen Situation noch, gut auszusehen und versammelte seine traurigen Parteikameraden um die Mikrofone. Mehr kann man sich selbst nicht entlarven. Es reicht nicht vorzugeben, sich neu zu erfinden, indem man Gelb durch Magenta ersetzt, ein paar coole Fotos schießen lässt und sich bei einer Werbeagentur knackige Sprüche dazu bestellt. Einfach peinlich! Davon sind viele enttäuscht. Ich bin sicher: Bei einer Neuwahl wären sie die Verlierer.

Sie vermissen Politiker, die Verantwortung übernehmen?

Campino: Es kann nicht sein, dass wir nur Sonnenschein-Politiker haben, die allein dann in die Verantwortung gehen, wenn ihnen die Konstellation passt. Alle Menschen müssen mit dem Wahlergebnis klarkommen und akzeptieren, wie die Mehrheitsverhältnisse in diesem Land aussehen.

Was sollten die Politiker tun?

Campino: Sie sollten sich zusammenraufen und sagen: „Wir haben uns das anders vorgestellt, aber das ist nun mal die aktuelle Situation, und daraus machen wir das Beste.“ Das machen wir Bürger ja auch jeden Tag. In diesem Zusammenhang haben sich viele Politiker dermaßen blamiert, das ist für mich die große Enttäuschung. Ich will anderen Menschen nicht vorpredigen, wen sie wählen sollen. Aber ich muss sagen, dass mir die Vertreter der Grünen in den Koalitionsverhandlungen der letzten Wochen sehr gefallen haben. Sie waren bereit, von gewissen Grundsätzen abzuweichen und Kompromisse zu machen. Das drückt für mich Reife aus.

Das Magazin „Cicero“ wirft Ihnen „pseudopolitische Naivität“ vor.

Campino: Damit muss ich leben. Ich kenne diese Versuche auch von Leuten aus der rechten Ecke, mir vorzuwerfen, dass ich ein großer Merkel-Jünger sei.

Welches Interesse steckt dahinter?

Campino: Man will mir eine politische Kehrtwende unterstellen, mich diskreditieren, mundtot machen.

Warum?

Campino: Ich glaube, ich gehe vielen Leuten unheimlich auf die Nerven.

Wie regieren Sie darauf?

Campino: Gar nicht.

Sie könnten zurückbeißen.

Campino: Wenn ich diesem Druck nicht standhalten würde, wäre das ein erster Beweis, dass es ihnen gelänge, mich einzuschüchtern. Ich stehe zu meinen Äußerungen. Oft werde ich aber falsch oder aus dem Zusammenhang gegriffen zitiert. Das muss ich akzeptieren. Ich bin jetzt so lange eine bekannte Persönlichkeit, da kann ich nicht erwarten, dass man mich mit Samthandschuhen anfasst.

Als verzweifelten Schachzug versuchen diese Leute dann, mich mit meinem Merkel-Zitat als Verräter an der eigenen Sache darzustellen: „Aha, die Punks aus den besetzten Häusern von 1982 sind nun im Establishment angekommen.“ Solch eine Verdrehung hat es bei uns nie gegeben. Wir sind unseren Prinzipien immer treu geblieben, und ich stehe zu diesen Äußerungen: Gerade in punkto Flüchtlingspolitik hat Frau Merkel unheimlich gut dagestanden, auch im Vergleich zu anderen Staatsoberhäuptern. Noch einmal: Ich bin kein Merkel-Freund, aber wir können glücklich sein, sie noch zu haben.

Verrat an der eigenen Sache — das müssen Sie sich häufig anhören.

Campino: Aber nur von Leuten, die eh noch nie etwas mit uns anfangen konnten. Man muss sich doch nur mal unsere aktuellen Lieder anhören: „Europa“ oder „Im Gegenwind der Zeit“. Das ist politisch gesehen kein bisschen anders als das, was wir früher bei „Willkommen in Deutschland“ gemacht haben. Ich muss mich also definitiv nicht für meine politische Aussagen der letzten Zeit rechtfertigen.

Sollten Stars sich mehr einmischen?

Campino: Es kann nicht darum gehen, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ich allerdings bin so groß geworden, dass ich Musik nur zu 100 Prozent gut finden konnte, wenn ich den Künstler dahinter auch respektierte. Wenn ich ein zugegeben gutes Lied von einem Interpreten höre, den ich aus irgendeinem Grund nicht mehr leiden kann, steht auch das Lied für mich nicht mehr zur Debatte.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Campino: Gary Glitter. Seine Songs waren tolle Lieder. Ich höre seine Musik aber nicht mehr, seitdem bekannt ist, dass der pädophil ist. Sobald ich heute auch nur den Ton seiner Stimme höre, bringe ich das sofort damit in Verbindung, dass er Minderjährige missbraucht hat.