Aachen : „Bürgerwehr“ im Grenzlandtheater: Der Schwank zu einem brisanten Thema
Aachen Das passende Stück zur Realität: So musste die Komödie „Bürgerwehr“ von Alan Ayckbourn, die auf dem Spielplan des Aachener Grenzlandtheaters steht, schon Mitte Oktober während der Proben wirken. Hatten sich doch kurz zuvor nach einer beispiellosen Serie von Raubüberfällen auf offener Straße in Aachen „Bürgerstreifen“ gebildet, die nachts in der Innenstadt patrouillierten.
Dabei war der Zusammenhang eher zufällig — das Stück stand schon lange vor dieser Entwicklung auf dem Spielplan. Indessen konnte man durchaus einen ernstzunehmenden Bühnenbeitrag zur Debatte über den vermeintlichen Sinn oder gefährlichen Unsinn von Bürgerwehren erwarten.
Kein klarer Schwerpunkt
Aber die Premiere am Freitagabend im Grenzlandtheater fiel zumindest in dieser Hinsicht eher enttäuschend aus: Viel zu sehr zerfließt das Stück in Nebenkriegsschauplätzen, ohne einen klaren Schwerpunkt zu setzen; der dauernden Abfolge von Bürgerversammlungen fehlt die Abwechslung ebenso wie die Zuspitzung; die Inszenierung von Renate Fuhrmann ist schwankhafter Boulevard.
Da wird auf der Bühne gekreischt, gebrüllt, man schmeißt sich auf den Boden, der kräftige Endfünfziger vergreift sich unbeholfen an jugendlicher Tänzerei und so fort. Das Publikum zeigte sich während der knapp drei Stunden immerhin amüsiert und klatschte am Ende kräftig Beifall.
Das Bühnenbild (Barbara Krott) lässt zu wünschen übrig: Außer einer Blumentapete, schiefen Linien und Parkbänken auf Kunstrasen, die dauernd hin- und hergeschoben werden, erblickt man nur noch ein gut zehn Quadratmeter großes Fenster — nichts als ein schwarzes Loch, in dem nur die Protagonisten immer wieder Schlimmes erblicken . . .
Die Geschwister Gerhard und Gerda Gauckert (Volker Weidlich, Lena Sabine Berg) sind gerade in das „bessere“ Wohnviertel Arkadia-Park gezogen, als der vermeintliche Einbruch eines Jugendlichen aus der nachbarlichen Problemsiedlung ihre Idylle zerstört. Das spießige Paar sieht sich in seinen Vorurteilen bestätigt und gründet gemeinsam mit Nachbarn eine Bürgerwehr, die sich alle paar Tage versammelt, um neue Abwehr- strategien zu planen.
Daraus entwickelt sich ein religiös untermauertes, fundamentalistisches Regime, das innerhalb des stacheldrahtbewehrten Areals die Einhaltung von Sitte und Ordnung in den eigenen Reihen überwacht. Dass eine solche „Bürgerwehr“ sich indiskutabel selbst diskreditiert, ist umgehend abgehakt und erledigt — und der Rest einfach eine Posse um ein Durcheinander an allerlei moralischen Verfehlungen der Protagonisten. Vielleicht sollte man einem verdienten Autor doch irgendwann einmal raten, die Feder endlich aus der Hand zu legen . . .
Gasmasken im Notlager
Zum Höhepunkt des absurden Sicherheitswahns packen die Irregeleiteten auf einem Notlager Gasmasken aus — Hans (Axel Gottschick), faschistoid-strammer Ordnungsfanatiker, setzt sie auf, als ob der Mob aus dem Sozialbau von nebenan gleich Granaten abschießen würde.
Die immerzu betende Gerda geht kreischend in den Zweikampf über mit der scharfen Angie (Sonia Fontana), die mit den Hüften wackelt, sobald sie Männliches erblickt. Ihr Hermann besorgt der Bürgerwehr einen Schandpfahl und andere Folterinstrumente zur Disziplinierung aufmüpfiger Jugendlicher aus dem Hochhaus von nebenan und ergeht sich in Gewaltfantasien gegen Frauen. Thomas Kemper gibt ein scheinbar harmloses Gemüt ab, hinter dessen Stirn gefährlich-böse Gedanken kreisen.
Die Musiklehrerin Magda (Jarah Maria Anders), masochistisch veranlagt und in ihrer kindischen Zurückgebliebenheit irgendwie nicht ganz dicht, lässt sich von ihrem Mann Lothar (Thomas Ulrich) verprügeln, damit er ihr damit die lesbischen Neigungen austreibt. Hallo? Herr Ayckbourn — in welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich? Lothar stürmt in einem Wutanfall wie Wotan Wahnwitz über die Bühne, dass man um den Darsteller fürchten muss.
Ausgerechnet die bibelfeste, moralradikale Gerda und die esoterische Magda küssen sich am Ende und sind ein lesbisches Paar. Damit nicht genug an prall-geballter Problematik: Gerhard erkennt in der frischgewonnen Beziehung mit der netzbestrumpften Angie, dass er in 50-jähriger WG mit seiner Schwester ziemlich viel verpasst hat, und steigt aus. Aber zu spät: Er wird am Ende erschossen, als er mit einer Jesus-Figur vor die Tür tritt, die die Polizei für eine Waffe hält.
Szenenapplaus für Weidlich
An dem ganzen Durcheinander ist außerdem beteiligt: Diana-Maria Breuer als spießige Doris Dörner. Lena Sabine Berg erhält zu Recht viel Beifall für die hintergründige Darstellung der bigotten Gerda, Axel Gottschick überzeugt als militaristischer Ultrarechter. Volker Weidlich alias Gerhard Gauckert erntet Szenenapplaus, als er mit einer sich grandios steigernden Wutrede die Gründung der Bürgerwehr rechtfertigt. Von solch satirisch zugespitzten Momenten hätte man sich einiges mehr gewünscht. Dem spielfreudigen Ensemble gelingt es, das Publikum über die lange Zeit insgesamt gut zu unterhalten. Zum brisanten Thema trägt das Stück allerdings kaum Verwertbares bei.