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„Warten auf“: Zwei Seelen im Zwischenreich

„Warten auf“ : Zwei Seelen im Zwischenreich

Wie ist es da, im Jenseits? Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und der Jurist Heiko Michael Hartmann legen ihren beiden Figuren einen scharfen poetischen Schlagabtausch in den Mund.

Am Anfang war das Wort. Und am Ende? Darüber rätselt die lebensfrohe Gertrud Severin nach ihrem Tod. Zumindest ist sie sich ziemlich sicher, dass sie tot sein muss. 52 Jahre alt, Schwäbin, Literatur- und Kunstliebhaberin, Familienmensch, Christin, redselig – aber voller Angst an einem ihr völlig unbekannten Ort. „Wattig-leer“, empfindet sie diesen. Und viel zu ruhig.

Geblieben ist ihr am Ende ihre Stimme für innere Monologe, doch alsbald auch für den Dialog mit einem ziemlich garstigen undurchdringlichen Gefährten. Ein jüngerer Mann, der seinen Namen nicht nennt, reichlich arrogant rüberkommt und sich in der Rolle des kühlen Philosophen gefällt. Wenn er antwortet, seziert er stets genervt das Gesagte. Eine Stimme, die Stille liebt.

Prüfung und Versuchung

Gertrud Severins viele ausschweifende Worte und ihre „tantenhafte“ Art lassen den jüngeren Mann rätseln, ob er sich hier – augenscheinlich tot – in einem Zwischenreich befindet. Ist das Ganze eine Art Versuchung oder gar eine Prüfung? Muss er es vielleicht schaffen, sich mit der anderen Stimme irgendwie einig zu werden? Würde ein bisschen intellektuelles Geflirte eventuell dabei helfen? „Wäre sie doch wenigstens jünger“, seufzt er im Selbstgespräch sinnierend.

Es sind die Stellen, an denen der Leser herzlich lachen kann im sonst eher herausfordernden Buch „Warten auf. Gericht und Erlösung: Poetischer Streit im Jenseits“. Das Buch verweigert sich einem festen Genre, es ist weder Roman, noch Traktat, noch Theater-Skript oder Essay. Es ist so dazwischen wie seine beiden Seelen, von dem es erzählt.

Die Schriftstellerin und Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff und ihr Kollege Heiko Michael Hartmann, Autor, Jurist und Philosoph, haben „Warten auf“ gemeinsam geschrieben. Auf ihren Lesungen ist zu erahnen, dass sie sich neben dichterischer Freiheit nicht zu sehr von ihren beschriebenen Figuren unterscheiden. Einen „Widerborst“ nennt Lewitscharoff ihren Freund im wahren Leben. Jemand, der ihr grundsätzlich widerspricht. Hartmann belässt es bei dem Hinweis, dass die Freundin im Eifer des Wortgefechts auch schon mal den Telefonhörer aufknallt.

Gemütliche Sofalektüre für zwischendurch ist dieses Buch nicht. Es ufert gern ein wenig in die lange Philosophie- und Religionsgeschichte aus. Der weniger beschlagene Leser kann ins Nachschlagen geraten. Wie war das gleich mit Kierkegaard? Ahja, gibt’s auf Youtube!

Unterdessen bietet der asketische Rationalist seiner anfangs ungeliebten Stimmgefährtin in der Erzählung des Buches wenigstens das „Du“ an. Wohl auch aus Respekt. Denn Gertrud Severin beweist ihm, dass redselige Frauen nicht automatisch doof sind. Nur eben völlig anders gestrickt. Für die munter schwäbelnde Gertrud geht es in dieser anderen Welt weiter wie bisher. Sie gibt sich rege – lebendig wäre an dieser Stelle unpassend –, neugierig und fantasievoll. Ihr Motto: Ich will so bleiben wie ich bin. So begegnet sie Stimmen ihrer lange verstorbenen Lieblingsdichter. Und sie hört sich ein wenig um, wie das hier alles so läuft.

Irdisches Leben zählt nicht mehr

Ihr Stimmgefährte ist erst entsetzt. Dann wird er eifersüchtig. Er hält Gertruds Entdeckungen für Wunschdenken, eine Art Jenseits-Kitsch. In seiner Vorstellung bedeutet Tod, vollständig loszulassen. Das irdische Leben zählt nicht mehr. Der Name ist erloschen, das Ich soll vergehen.

Bei diesen Voraussetzungen wundert es nicht, dass sich die beiden Stimmen nach einer Phase der freundlicheren Annäherung an die Köppe kriegen. Beim Thema Jüngstes Gericht zum Beispiel, bei dem Gertrud Massenmörder michelangelomäßig in der Hölle brutzeln sehen will. Ihr Gefährte aber schlägt überraschend vor, ihnen zu verzeihen. Für ihn gibt es vielleicht gar keinen Gott. Und wenn, zumindest keinen „gerechten“ Gott nach menschlichen Vorstellungen. Der literarische Widerborst kann gut argumentieren. Schließlich war er da beruflich in Übung.

Das Buch lädt in der dunklen Jahreszeit zum Nach- und Weiterdenken über das Thema Tod ein. Zum Widerspruch, zur Zustimmung, aber immer wieder auch zum Amüsement über loriotverdächtige Mann-Frau-Dialoge. Nur schade, dass der Klappentext schon verrät, warum die beiden Seelen ihre irdische Welt gemeinsam verlassen haben. Das Buch enthüllt das allerdings erst nach und nach.