Grandios : Das Bio-Huhn und ein Mord
Aachen Yasmina Reza entlarvt in ihrem neuen Roman „Babylon“ mal wieder das Grauen hinter der bürgerlichen Fassade. Wie in „Gott des Gemetzels“ reicht eine Kleinigkeit für einen Eklat. Traurig und brillant zugleich.
Diesmal also ein Bio-Huhn! Es klingt banal, ja lächerlich, aber die Diskussion um die Herkunft des Tieres lässt bei einer Party in Yasmina Rezas aktuellem Roman „Babylon“ die Fassade der bürgerlichen Gesellschaft bröckeln. Sie gipfelt sogar in einen Mord. Reza ist aber natürlich nicht unter die Krimiautorinnen gegangen, sondern bewegt sich auf bewährtem Terrain. Auch wenn durch den Mord tatsächlich etwas passiert, handelt es sich bei dem in Frankreich gefeierten und preisgekrönten Roman wieder um eine Geschichte, die sich wie ein virtuoses Kammerspiel liest.
In ihrem auch erfolgreich verfilmten Theaterstück „Gott des Gemetzels“ führt eine Prügelei zweier Kinder zu einem Treffen der Eltern, das völlig eskaliert. In „Kunst“ zerstreiten sich drei Freunde über ein modernes Gemälde. Manch ein Kritiker wirft der französischen Autorin nun vor, dass sie sich selbst kopiere und stets nach demselben Schema vorgehe. Ihnen muss man antworten: Na und! Wer so fantastisch das Absurde im Alltag aufzeigt, die Fragen nach dem Sinn des Lebens stellt, nur um sich gleich wieder darüber lustig zu machen, der darf seinem Stil treu bleiben. Ja, das Leben ist ein Witz. Darüber darf ruhig häufiger geschrieben werden.
Elisabeth möchte eigentlich nur eine nette Frühlingsparty geben. Stühle leiht sie sich bei ihren Nachbarn Jean-Lino und Lydie. Und weil man sich schlecht Stühle ausleihen kann, ohne die beiden einzuladen, kommt das Nachbarpaar auch zum Fest, obwohl es nicht so recht in die gutbürgerliche Pariser Gesellschaft passen will. Weil alles ungewiss ist, will Elisabeth zumindest für einen Abend so etwas wie Zusammenhalt schaffen. Doch weil sie selbst schon allein den Begriff Zusammenhalt als Worthülse entlarvt, ist es auch folgerichtig, dass die Party nicht recht in Gang kommen will. Nachdem auch der Small Talk über den überraschenden Schnee im Frühjahr versiegt ist, herrscht Stille. Bis zum verheerenden Hühnchen-Eklat.
Ob in dem servierten pikanten Cake denn Bio-Huhn sei, fragt Lydie und stellt gleich klar: „Ich esse kein Hühnchen mehr, bei dem ich nicht weiß, wo es herkommt.“Jean-Lino wittert seine Chance, für Stimmung zu sorgen und macht sich über seine Frau lustig, parodiert ein Hühnchen und bemerkt gar nicht, wie er seine Frau verletzt. Diese zwischenmenschliche Dissonanz hat Folgen. In der Nacht wird Jean-Lino bei Elisabeth klingeln, um ihr zu sagen, dass er seine Frau erwürgt hat. Weil das schon zu Beginn des Romans klar ist, verrät man an dieser Stelle nicht zu viel. Versprochen.
Anstatt die Polizei zu rufen, füttert Jean-Lino seine Katze, Elisabeths Mann Pierre legt sich gleich wieder schlafen, und Elisabeth lässt sich dazu überreden, ihrem Nachbarn, mit dem sie sich angefreundet hat, bei der Entsorgung der Leiche zu helfen. „Ich fand mich irrsinnig toll“ sagt Elisabeth, während sie mit ihrem Nachbarn die tote Lydie in einen Koffer verfrachtet und das Treppenhaus herunterbringt.
Es ist wohl die Sehnsucht nach Unvernunft, die Sehnsucht, sich lebendig zu fühlen, die Elisabeth dazu treibt. Natürlich ist das Leben der Pariserin im mittleren Alter völlig in Ordnung, aber in Ordnung reicht den meisten Menschen, die nicht ganz abgestumpft sind dann manchmal doch eben nicht. Vielleicht beneidet die Patentingenieurin auch deshalb ihre Schwester, die eine Affäre hat, während Elisabeths Mann Pierre sie bedingungslos liebt, aber sie „nicht in Gefahr“ bringt. „Man kann gut mit ihm auskommen“ – was für eine jämmerliche Bilanz für eine Ehe, eine Liebe, sagt Elisabeth selbst. Pessimistisch oder nur realistisch? Sie sagt auch, dass „nichts Reines in den menschlichen Beziehungen“ sei.
Menschen werden in die „Banalität des Lebens eingepfercht“, so beschreibt die Ich-Erzählerin Elisabeth es. Üblicherweise lässt Reza Männer erzählen, diesmal nicht. Das habe sie Überwindung gekostet, sagte sie in einem Interview mit „Le Monde“. Hinter einem männlichen Erzähler könne man sich besser verstecken, sie habe sich bei „Babylon“ deshalb auch nackt gefühlt.
„Das Älterwerden, das Nie-wieder ist das Schwindelerregende“ analysiert die Erzählerin sehr klar. Das Endliche der Existenz nagt an Elisabeth, denn „sobald wir die Erde betreten, müssen wir alle Gedanken an ein Bleiben fahrenlassen.“ In bester französischer existenzialistischer Tradition zeigt Reza die Absurdität des Lebens auf – allerdings glücklicherweise mit viel Humor. Schließlich lässt sich mit etwas Witz der Irrsinn des Lebens gleich viel besser ertragen.