Lesung von Starautor Karl Ove Knausgård : Wo die Krabben an Land spazieren
Köln Der international renommierte norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård stellt seinen neuen Roman „Der Morgenstern“ bei einer Lesung in Köln vor. Wie reagieren Menschen auf Phänomene, die sie nicht erklären können?
Alles ist bereitet für den Auftritt eines der größten Stars der internationalen Literaturszene. Rund 900 Menschen sind gekommen und füllen den schmucken Saal in der Kölner Flora, wo an diesem Abend die Lesung im Rahmen des Literaturfestivals Lit.Cologne stattfindet. Wie hoch der Stellwert dieser Veranstaltung ist, lässt sich auch daran bemessen, dass mit Thomas Böhm, dem bekannten Literaturkenner und Moderator des Abends sowie mit dem Schauspieler Thomas Loibl, der einige Passagen aus dem neuen Roman des Starautors lesen wird, zwei absolute Schwergewichte das Podium säumen.
Alles ist also angerichtet für das literarische Popfestival. Das Problem ist nur, dass der Autor selbst gar kein Popstar sein will. Als Karl Ove Knausgård die Bühne betritt, blickt er erst einmal ganz scheu ins Publikum. Und man wird das Gefühl nicht los, dass ihn der Anblick dieser Vielzahl von Menschen, die gekommen sind, um ihn zu erleben, einfach nur erschreckt.
Knausgård (53), der an diesem Abend Fragen zu seinem neuen Roman „Der Morgenstern“ beantwortet, spricht mit sehr ruhiger Stimme. Er lässt ich Zeit für seine Antworten. Nach wenigen Minuten, so scheint es, hat er Zutrauen in die Situation gefunden. Nur ganz selten wendet er seinen Blick von Moderator Böhm ab, ganz so, als wolle er die Hunderten Zuhörer einfach ausblenden – was übrigens keineswegs arrogant wirkt. Knausgård spricht so ruhig und bedächtig, dass es eine reine Freude ist, ihm zuzuhören.
„Romane, die eine Meinung verbreiten, sind schlechte Romane“, sagt der norwegische Schriftsteller. In sehr guten Romanen stehe immer das Erzählen im Vordergrund. In seinem Buch „Der Morgenstern“ gerät die Welt, wie wir sie kannten, aus den Fugen. Krabben spazieren an Land, Ratten tauchen an unerwarteten Stellen auf – der idyllische norwegische Sommer wird von seltsamen Vorkommnissen überschattet. Neun Menschen erzählen von ihren Erlebnissen während dieser Hochsommertage: der Literaturprofessor Arne, der mit seiner Familie Urlaub im Sommerhaus macht; die Pastorin Kathrine, die merkt, dass sie ihre Ehe als Gefängnis empfindet; der Journalist Jostein, der auf einer exzessiven Trinktour von mysteriösen Morden erfährt und seine Frau Turid, die in einer psychiatrischen Anstalt arbeitet. Ihnen allen unerklärlich ist das Auftauchen eines neuen Sterns – Vorbote des Bösen oder Verheißung von etwas Gutem?
„Wir leben in einer Welt, in der die Menschen alles wissen. Oder meinen, alles zu wissen. Mich hat in diesem Roman die Frage interessiert, wie die Menschen auf ein Phänomen reagieren, das sie tatsächlich nicht erklären können, für das es keine wissenschaftliche Erklärung gibt“, sagt Knausgård, der mit einem sechsbändigen Romanzyklus weltweit bekanntwurde. Während dieser Zyklus stark autobiographisch geprägt war, lässt Knausgård in seinem neuen Roman seiner erzählerischen Phantasie freien Lauf.
Als die Lesung nach anderthalb Stunden beendet ist, erhebt sich Knausgård aus seinem Sessel und deutet ein Kopfnicken Richtung Publikum an. Die Menschen klatschen begeistert Beifall. Das wird dem schüchternen Autor dann sofort zuviel. Ein bisschen überfordert macht er sich davon. Wären nur alle Stars so bescheiden.