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„Der Turm der blauen Pferde“: Über das Verschwinden eines Meisterwerks

„Der Turm der blauen Pferde“ : Über das Verschwinden eines Meisterwerks

Ein hochinteressantes, spannendes und überaus lesenswertes Buch. Eines der berühmtesten Gemälde des Malers Franz Marc ist verschollen: „ Der Turm der blauen Pferde“ – ein beliebtes Postkartenmotiv, irgendwie hat jeder das schon mal gesehen.

Den Historikern ist bekannt, dass das großformatige Bild zur umfänglich erklauten Privatsammlung des Reichsmarschalls Hermann Göring gehörte. Obwohl die meisten Bilder moderner Künstler als „entartet“ galten, raffte Göring an sich, was unter seine Finger geriet. Umfänglich wurde in den Medien da- rüber berichtet.

„Der Turm der blauen Pferde“ – seit 1945 wurde das Original niemals mehr gesichtet, und so ranken sich vielfältige Mythen um das Verschwinden dieses Meisterwerks. Bernhard Jaumann hat sich des Themas angenommen und in einem rasanten, gut durchdachten, fulminanten Roman eine unmögliche oder mögliche Deutung vorgelegt. Und so hat er sich das ausgedacht:

Der reiche Schraubenhersteller Schmelzer interessiert sich für Kunst und deren Szene im Allgemeinen. Viele angesagte Maler schmücken bereits sein Wohnzimmer. Mit viel Raffinesse, Geld und Bauerschläue durchforstet er die Welt nach angesagten Meisterwerken und ist sich fast sicher; das Original des „Turms der blauen Pferde“ aufspüren und für drei Millionen Euro erwerben zu können – ein Lebenstraum. Denn er liebt genau dieses Bild mit Kopf und Herz. Das ist wichtig. Um sich ganz sicher zu sein, engagiert er die „Kunstdetektei von Schleewitz“; sie soll den Weg des Gemäldes von 1945 bis 2018 nachverfolgen.

Rupert ist der Chef des Unternehmens und eloquenter Manager, Max ein fleißiges Arbeitstier und überzeugter Familienmensch, Klara ist hübsch, frech und schlicht genial. Alle drei Ermittler haben auf ihre Art den richtigen Biss. Neben all den kriminalistischen und kunsthistorischen Gesichtspunkten ist es höchst unterhaltsam und erfreulich, den so unterschiedlichen Charakteren zu begegnen.

Das Ermittlerteam stürzt sich voller Elan in die Arbeit und trifft auf unglaubliche Abgründe: Zweifacher Mord ist im Spiel, Eifersucht, Neid. Verschrobene Bauern, durchgeknallte Mädchen, eitle Kunstmäzene, Fachwissen und Scharlatanerie. Und alles das nur für ein Bild? Welche Magie, welchen Sog mag dieses Kunstwerk ausgestrahlt haben.

Auf jeden Fall war es um den jungen Ludwig Raithmaier geschehen, als er kurz nach Kriegsengsende in einem Bergstollen zufällig einen Güterwagen mit dem verschollenen Raubgut Görings entdeckte. Alle restlichen Gemälde ließen ihn kalt. Einzig den „Turm der blauen Pferde“ wollte er unbedingt in seinen Besitz bringen – ganz gleich mit welchen Mitteln. Das Bild wird ihn den Rest seines Lebens begleiten. Und auch der kleine Enkel ist von Format und Farben des Werkes hingerissen; er beginnt, selbst zu malen. Zunächst eigene Kreationen und später... Eine atemberaubende Geschichte!

Die diversen und scheinbar unzusammenhängenden Erzählstränge verwebt Jaumann meisterhaft, spannend, rätselhaft und nachvollziehbar zugleich. Ein nervenzehrendes Erzählvergnügen auf hohem Niveau. Und plötzlich interessiert man sich für Kunst. Man darf auch durchaus enthusiastisch sein. Naja, das mit dem Mord sollte man dann vielleicht doch unterlassen.

(sul)