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Buch über Stilkunde von Michael Maar: Über das facettenreiche Schreiben

Buch über Stilkunde von Michael Maar : Über das facettenreiche Schreiben

Der Germanist und Literaturkritiker Michael Maar gibt in einem lehrreichen und unterhaltsamen Buch viele Antworten auf die Frage nach einem guten Stil in der Literatur. Aber gibt es wirklich nur den einen?

Wer wollte dem Geheimnis „großer Literatur“ nicht auf die Schliche kommen? Zumal dann, wenn wieder einmal ein faszinierendes Buch durchgelesen ist und sich zum wiederholten Mal die Frage stellt, was genau es so ungewöhnlich und lesenswert gemacht hat und was genau es von allen anderen schon gelesenen Büchern unterschieden hat? Eine Antwortmöglichkeit wäre vermutlich schnell gefunden: „Natürlich der Stil, der war so toll, so besonders!“ Aber das war es dann oft auch schon mit der Erklärung.

Der Germanist und Literaturkritiker Michael Maar gibt in seinem lehrreichen und, ja tatsächlich, äußerst unterhaltsamen Buch sehr viel genauere Antworten auf die Frage nach dem Stil in der Literatur. Unterhaltsam ist es, weil Maar sehr viele, sehr schöne Geschichten erzählt.

So wie die gleich zu Beginn: Als Wilhelm Hauff einen Vorschuss von 1000 Gulden für einen Roman bekam und der Verleger sich für den nicht so perfekten Stil entschuldigt, in dem das Begleitschreiben geschrieben sei, antwortet Hauff: „Ein Brief mit tausend Gulden ist immer in einwandfreiem Stil geschrieben.“

Selbstverständlich belässt es Michael Maar nicht bei amüsanten Anekdoten. Kenntnisreich diskutiert er im Weiteren anregend die Frage, was Stil eigentlich ist. Mithilfe einer Geschichte von Hugo von Hofmannsthal erläutert er, dass ein guter Stil sich zum Beispiel durch Balance auszeichnet, also durch ein Gleichgewicht in den Formulierungen und eine dem Gegenstand angemessene Darstellung. Und warum es sich lohnt, den eigenen Stil zu verbessern, wusste schon Friedrich Nietzsche: Es heißt immer auch den Gedanken verbessern!

Nach diesen eher grundsätzlichen Überlegungen stellt Maar einige Instrumente des Stils vor; also etwa Metaphern („Das Herzstück der poetisch-rhetorischen Mittel“) und gekonnt gesetzte Satzzeichen und die glaubwürdige wörtliche Rede und den lebhaften Dialog und die Wiederholung. Ja, auch das sich Wiederholen kann stilvoll sein, wie bei Joseph Roths Radetzkymarsch: „Jetzt hatte der Kaiser einen glücklich gemacht. Er freute sich. Er freute sich. Er freute sich.“

Bewundernswert ist dabei der riesige Fundus, aus dem Maar für seine Beispiele schöpft. Und dieser Fundus wird im Hauptteil des Buches noch erweitert. Er heißt „Die Bibliothek“ und charakterisiert Eigenheiten und verschiedene Stile großer Autorinnen und Autoren. Er beginnt mit den deutschen Klassikern, natürlich Goethe, dessen Zweite Walpurgisnacht im Faust er für „das womöglich Herrlichste der deutschen Sprache überhaupt“ hält: „Lässig aus dem Handgelenk geschleudert, jeder Satz eine Pointe, frei und kühn, oft derb und frivol und von kühler Komik.“ Und auch die anderen „Gewaltigen“, wie Jean Paul, Wieland, Schiller oder Lessing werden angemessen gewürdigt ebenso wie die Brüder Grimm, für Maar ebenfalls große Sprachschöpfer.

 Michael Maar: „Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur“, Rowohlt, 655 Seiten, 34 Euro
Michael Maar: „Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur“, Rowohlt, 655 Seiten, 34 Euro

Es tauchen Autorinnen und Autoren aus allen Epochen der Literatur bis in die Gegenwart hinein auf; John Keats und Franz Werfel, Christine Lavant und Gertrud Leutenegger, Undine Gruenter und Botho Strauß, Arno Schmidt und Wolfgang Herrndorf. Und das ist wirklich nur eine kleine Auswahl! Michael Maar liefert jede Menge erklärende Textbeispiele und dokumentiert damit seine Analysen über die jeweiligen individuellen Stile. Nebenher baut er noch zwei kleinere Literaturquizze ein und liefert jede Menge erhellende und vertiefende Anmerkungen.

Und dann, nach Stunden lustvoller Lektüre dieser Stilkunde im besten Sinn? Kann man die Frage nach dem richtigen, dem einzig guten Stil beantworten? Nein, natürlich nicht! Aber mit Michael Maar hat man gelernt, beim nächsten Buch etwas genauer hinzuschauen, um den Geheimnissen seines Stils auf die Schliche zu kommen. Und man hat Vieles verstanden vom Zusammenspiel zwischen ausbalancierten Wörtern und Formulierungen und dem Stoff eines Buches. Das, zusammen mit dem Genie von Autorinnen und Autoren macht es wohl aus, das Geheimnis großer Literatur.