Roman „Mutterschaft“ : Kinder bekommen oder nicht?
Aachen „Es ist wie im Bürgerkrieg: Auf welcher Seite stehst du?“, heißt es in Sheila Hetis Buch „Mutterschaft“. Gemeint ist: Willst du Kinder oder nicht? Frauen müssen sich positionieren.
Das erlebt jedenfalls die Protagonistin in dem teils autobiografischen Werk der 42 Jahre alten Kanadierin. Sie hat keine Kinder. Ihr neues Buch ist ein sehr persönliches geworden.
Die Ich-Erzählerin ist Schriftstellerin und lebt mit ihrem Freund Miles in Toronto. Verheiratet sind sie nicht. Er ist Strafverteidiger und hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Die Entscheidung, ob er und die Protagonistin Kinder miteinander kriegen sollen, überlässt er ihr – aber sie müsse sich sicher sein. Die 37-Jährige, die anfängt, ein Buch darüber zu schreiben, ist sich überhaupt nicht sicher und klingt eher so, als wolle sie keine.
Auch Heti ist nicht verheiratet und lebt in Toronto mit einem Mann zusammen. Die Grenzen zwischen Fiktion und Hetis Leben verschwimmen.Sie hat sieben Jahre an dem Buch gearbeitet. Die Protagonistin schreibt es in drei Jahren – bis sie 40 ist und eine Entscheidung getroffen hat. Um dahin zu kommen, lässt sie sich Karten legen, befragt ein obskures Würfelsystem, überlegt, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, beobachtet ihre Gefühlslage während der Phasen ihres Zyklus‘, aber vor allem spricht sie mit jedem, der ihr begegnet, über Kinder. Das ist oft witzig und manchmal traurig.
Spätestens seit der Studie der Soziologin Orna Donath „Regretting Motherhood“ (2015) sind die negativen Seiten des Elternseins zum öffentlichen Thema geworden. Sie auszusprechen gilt trotzdem oft noch als Tabu. Wie viel Druck auf einer Mutterschaft lastet, hat jüngst erst wieder die Autorin Antonia Baum in „Stillleben“ beschrieben.
Konventionen werden in „Mutterschaft“ immer wieder hinterfragt. „Wir schätzen das Kriegführen und Menschenbeherrschen auf die gleiche Weise, wie wir die Mutter anbeten“, sagt Miles einmal. Das Paar fragt sich, wieso man sein Leben auf einen Menschen ausrichten soll, wenn man stattdessen Hunderten helfen könnte. Und ist es nicht egoistisch, unbedingt einen Teil von sich in der Welt hinterlassen zu wollen?
Auch ihre jüdischen Wurzeln überzeugen die Erzählerin nicht, hatte man ihr doch eingeschärft, nach dem Holocaust müssten gerade Juden sich fortpflanzen. Aber könnte man es aus Protest gegen die Gräueltaten der Menschheit nicht auch mal 100 Jahre sein lassen?
Bei all dem bewertet Heti, deren Großmutter ebenfalls Auschwitz überlebt hat, nicht. Klug arbeitet sie heraus, dass jeder die Antwort für sich finden müsse – und das bedeute niemals, andere Meinungen abzuwerten. „Die Lebensweise eines Menschen ist keine politische oder generalisierende Aussage darüber, wie die aller anderen sein sollte.“
Am Eindrücklichsten ist das Buch, wenn es beschreibt, wie viel Druck auf Frauen lastet, sich zu entscheiden. Eben auch, weil die Zeit dafür begrenzt ist. Über all dem hängt die Angst, später vielleicht etwas zu bereuen. Dabei ist es wohl auch so: Ob Kinder das Richtige sind, weiß man vermutlich erst, wenn man sie hat.
Die Angst der Erzählerin zu bereuen, welche bekommen zu haben, ist aber größer. Sie stellt fest, dass Schreiben für sie das Wichtigste ist. Ähnlich wie Heti selbst. Ihr Buch bricht eine Lanze für alle, die keine Kinder wollen oder haben und keine Lust mehr haben, sich immer erklären zu müssen – oder gar schlecht deswegen zu fühlen.