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Roman „Goldschatz“ von Ingrid Noll: Goldtaler, Sex und Crime

Roman „Goldschatz“ : Goldtaler, Sex und Crime für ein gesellschaftskritisches Experiment

Man nehme sechs Personen unterschiedlichen Geschlechts und Charakters, versetze sie in eine Wohngemeinschaft in einem zugigen Bauernhaus und würze das Ganze mit Goldtalern, Sex – und nur ein bisschen Crime.

Erfolgsautorin Ingrid Noll wählt diese Zutaten für ein gesellschaftskritisches Experiment, das sie in ihrem neuesten Werk „Goldschatz“ durchspielt. Wie die Zutaten miteinander reagieren und ob es am Ende zu Explosionen kommt, beschreibt die 83-Jährige in gewohnt witzig-ironischem Ton.

Im Mittelpunkt dieses Kammerspiels steht die Studentin und Ich-Erzählerin Beatrix – kurz Trixi, die das Haus auf dem Lande von ihrer Mutter zur Verfügung gestellt bekommen hat. Unter dem Motto Gegenstrom will die Enkelin der 68er Generation mit Gleichgesinnten in dem runtergekommenen Bauernhaus ein nachhaltiges Leben ohne Komfort und Konsum ausprobieren. Trendige Kleidung oder iPhones sind – zumindest vorerst – tabu.

Doch die von Gleichaltrigen despektierlich Späthippies und Altpapiersammler genannten Idealisten kommen schnell an ihre Grenzen. Das alte Gebäude ist kalt, die Arbeit in Haus und Garten anstrengend, Waschmaschine und Kühlschrank werden schmerzlich vermisst. Die hehren Ziele erfüllen die drei jungen Frauen und zwei Männer immer weniger – ganz nach dem Sprichwort „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“.

Wer bei „Goldschatz“ einen lupenreinen Krimi mit den Noll-typischen mordenden Frauen wie in ihrem letzten Roman „Halali“ erwartet, der wird enttäuscht.
Hehre Ziele, schnöder Mammon
Die Untat ist in die Vergangenheit verlegt worden: Zwei Freundinnen – darunter die damalige Besitzerin des Hauses – bringen den als Deserteur aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrten Ehemann der einen um die Ecke. Und sie eignen sich dessen – einer schlesischen Bauersfrau geraubten – Goldschatz an. Die WG hingegen bleibt verschont von Kapitalverbrechen. „Ich wollte die jungen Leute nicht zur Axt greifen lassen; das passt nicht“, sagt Noll.

Die Entdeckung des kleinen Vermögens auf dem Anwesen sorgt in der WG für böses Blut und den weiteren Verfall der guten Vorsätze. Beispiel: die Shopping-Tour von Trixi und ihrer Freundin Saskia – ein Kaufrausch finanziert aus dem Verkauf zweier Goldtaler. Auch die einzige, die sich allen Verführungen entgegenstemmt, die zur Selbstaufopferung neigende Martina, kann der Anziehungskraft des schnöden Mammons nicht widerstehen.

Intrigen, Neid, Egoismus, Bequemlichkeit und ein nur knapp verhinderter Selbstmord – das Experiment fliegt den Protagonisten um die Ohren. Am Ende steht die trickreiche Trixi alleine da und muss sich entschieden: Will sie den Weg des Kommerzes beschreiten oder ihre akademische Laufbahn fortsetzen?

Ingrid Noll zeigt viel Verständnis für ihre Figuren und lässt Trixis gutherzigen Freund Henry sagen: „Vielleicht waren wir noch nicht reif für eine WG.“ Nur Rücksichtnahme, die Fähigkeit zu Kompromissen und Empathie könnten ein solches Vorhaben gelingen lassen, sagt die Autorin. Diesen Tugenden stehen niedere Bedürfnisse entgegen. Um das zu untermauern, stimmt sie den Refrain des Salomon-Liedes aus Brechts Drei-Groschen-Oper an: „Beneidenswert, wer frei davon.“

(gie)