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Roman „Der Sommer meiner Mutter“ von Ulrich Woelk

Sommer 1969 : Mutter des Ich-Erzählers stirbt durch Suizid

Erste Sätze haben es oft in sich. In manchen kommt es knüppeldick, andere deuten die Poesie der folgenden Seiten an. Im ersten Satz von Ulrich Woelks kurzem Roman „Der Sommer meiner Mutter“ stirbt die Mutter des elfjährigen Ich-Erzählers Tobias durch Suizid.

Sie bringt sich am Ende jenes Sommers um, der nicht nur das Leben des Ich-Erzählers für immer verändert, sondern das Bewusstsein der ganzen Welt prägt.

Es ist der Sommer des Jahres 1969, und Tobias fiebert dem Jahrhundertereignis Mondlandung entgegen. Mit seiner Familie – Mutter und Vater Ahrens – wohnt er am Rand von Köln in einer Neubausiedlung,in der das Leben ruhig und gemächlich abläuft. Die Veränderungen, die sich im Rest der Welt durch Vietnam-Krieg, durch junge Revoluzzer, durch Hippiebewegung ankündigen, sind nicht bis hierhin vorgedrungen.

Das modernste an den Ahrens ist ihr Neubau, den der Ingenieurvater mit allen Finessen im Küchenbereich und sogar Fußbodenheizung ausstattet. Ansonsten läuft alles weiter wie immer: eine mittelmäßig gefühlvolle Ehe mit wenig Gesprächen unterhalb der Gürtellinie. Der Vater verdient das Geld, die Mutter wäscht und kümmert sich um Tobias. Bis in das Haus nebenan ein liberales Paar einzieht; er ist Hochschulprofessor, und sie Übersetzerin. Frau Ahrens beginnt, ein Auge auf den Nachbarn und auf ein emanzipierteres Leben zu werfen. Mit dabei ist auch die Tochter der Nachbarn – die frühreife 12-jährige Rosa – die
Tobias nicht nur die neueste Musik zeigt.

Das beschauliche Vorstadtleben bekommt bei allen Protagonisten bedrohliche Risse. Wie Woelk das Innenleben der Figuren beschreibt, ihre Geheimnisse mit den Geheimnissen im Weltall verknüpft, ist große Kunst. Woelks Schreibe ist leise, aber genau. Dass er das Ende des Romans – den Tod der Mutter – bereits im ersten Satz vorwegnimmt, ist nur folgerichtig: Der Leser muss sich nicht auf die dramatische Entwicklung konzentrieren, sondern bleibt ganz dicht bei den Figuren, ihren Sehnsüchten und Ängsten.

Lesenswert und gar nicht so schwermütig, wie die Geschichte zunächst zu sein scheint.

(azu)