„Daphnis und Chloe“ : Neue Übersetzung des rund 1700 Jahre alten Textes
Aachen Für Johann Wolfgang von Goethe ist „Daphnis und Chloe“ ein Meisterwerk. „Man tut wohl, es alle Jahr einmal zu lesen“, schwärmt er kurz vor Ende des eigenen, langen Dichterlebens.
Der spätantike Liebesroman des Griechen Longos über zwei Hirtenkinder, die zwischen Ziegen und Schafen aufwachsen und dabei zueinander finden, vereint für den Weimarer Universalgelehrten „Verstand, Kunst und Geschmack auf ihrem höchsten Gipfel“.
Sehnsuchtsvoll und eifersüchtig
Über Longos selbst ist nicht viel mehr bekannt, als dass er wohl um 300 nach Christus auf der griechischen Insel Lesbos lebte. Mit „Daphnis und Chloe“ hat er sich in die Literaturgeschichte eingeschrieben: Neben Theokrits „Idyllen“ und Vergils „Bucolica“ gilt der Roman als wegweisend dafür, wie sich Künstler – etwa im Barock, in der Renaissance oder im Biedermeier – das idyllische Arkadien vorstellten.
Jetzt hat Kurt Steinmann den rund 1700 Jahre alten Text erneut übersetzt. Großes Aufsehen hatte der Schweizer zuletzt erregt, als er über viele Jahre für zwei schwere Prachtbände Homers „Odyssee“ und „Ilias“ aus dem Griechischen neu ins Deutsche übertrug.
Im Hirtenroman entdeckt ein Schäfer den jungen Daphnis auf einer Weide, wie er von einer Ziege gesäugt wird. Später stößt ein anderer Hüter in einer Grotte auf die kleine Chloe, der ein Schaf „ganz nach Menschenart seine Zitzen zu reichlichem Aussaugen der Milch darbot“.
Unter naiven Spielereien wachsen die Findelkinder zu Jugendlichen heran – und werden unzertrennlich. Auch wenn andere Mädchen den schönen Daphnis bezirzen und Jünglinge um Chloe buhlen, haben die beiden nur Augen füreinander – mit all den schlaflosen Nächten, der Zuneigung und Sehnsucht, dem Herzschmerz und der Eifersucht, die der blühenden Liebe innewohnen.
Doch bevor sie endgültig zueinander finden, müssen die Verliebten so einige Abenteuer und Verwechslungen überstehen, Fehden abwehren und vor allem das Rätsel um ihre Herkunft lösen. Steinmann behält in seiner Übersetzung stets jene unschuldige Zweisamkeit bei, die den Figuren innewohnt. „Liebe“, schreibt er im Nachwort über den Roman, „ist die
eigentliche Seele“. Sprachlich bleibt er nah an der poetischen Prosa des Originals, sein deutscher Text ist wundervoll klassisch-bedacht.
Naiv und sinnlich
Frühere Kritiker stießen sich an Longos‘ „Mischung von dezenter Süßlichkeit und derber Sinnlichkeit“. Manch einer sprach gar von „pornografischem Reiz“. Wer heute den Roman liest, kann das kaum mehr nachvollziehen. Eher dürfte die kindliche Naivität in Sachen Sexualität – Steinmann übersetzt es als „Hirtentändelei“ – viele schmunzeln lassen. Die Liebe bei Longos hat nichts Vulgäres, sondern viel Zärtliches, Tastendes und – ja - Idyllisches.
„Immer der blaueste reinste Himmel“, war Goethe von „Daphnis und Chloe“ hingerissen, „die anmutigste Luft und ein beständig trockener Boden, so dass man sich überall nackend hinlegen möchte“. Er war jedes Mal „von neuem erstaunt, wenn man es wieder liest“. Die Steinmann-Neuübersetzung ist sicherlich eine gute Gelegenheit dazu.