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Roman „Babel“ von Kenah Cusanit:

Roman „Babel“ : Reise zu den Ausgrabungsstätten des sagenhaften Babylon

Der Grabungsleiter liegt flach und kann sich vor Schmerzen kaum bewegen. Akute Blinddarmentzündung, lautet die Selbstdiagnose von Koldewey, dem eigensinnigen Protagonisten von Kenah Cusanits erstaunlichem Debütroman, der bereits für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde.

Die 1979 geborene Lyrikerin und Altorientalistin nimmt den Leser mit auf eine vertrackt-komische Expedition zu den Ausgrabungsstätten des sagenhaften Babylon, das ab 1899 in jahrelanger Kleinarbeit im Auftrag der Deutschen Orientgesellschaft unter der Leitung des deutschen Archäologen Robert Koldewey (1855-1925) freigelegt wurde.

Ein prächtiger Stoff, angesiedelt im Zenit des deutschen Imperialismus, als Kaiser Wilhelm II. mit starrsinnigem Nachdruck den „Platz an der Sonne“ für seine Nation reklamierte. Cusanit hat keinen süffig fabulierenden historischen Roman mit üppig ausgemaltem Zeitkolorit verfasst und auch keinen preußischen „Indiana Jones“ in die Wüste geschickt. Diese Autorin denkt ihrem komplizierten Helden hinterher – in mäandernden Sätzen, essayistischen Exkursen und plötzlich aufblitzenden Bonmots: „Die Engländer dachten in Funden, die Deutschen in Befunden.“ Das ist oft sehr komisch, immer spannend, manchmal auch mühsam wie die Grabungen im Staub des brütend heißen Zweistromlandes, aber es lohnt sich auf jeder Seite.
Hinreißende Collage
Koldewey liegt zu Beginn flach und hat viel Zeit zum Nachdenken. Über ein Jahrzehnt läuft die Grabung bereits. Unten im Hof lagern hunderte Kisten mit glasierten Reliefziegeln aus der Zeit Nebukadnezars II. und sollen auf dem Wasserweg über den Euphrat und das Mittelmeer bis nach Berlin gebracht werden. Mit seinen Vorgesetzten in der Hauptstadt und Kollegen steht Koldewey in ständigem Briefkontakt, aber Berlin ist weit, und die Kompetenzen sind verworren.

In einer hinreißenden Collage aus kurzen Briefausschnitten erleben wir ein wahrhaft babylonisches Stimmengewirr; es geht um Grabungsverlängerungen, unheilvolle Vorzeichen eines nahenden Krieges aber auch um eine verlorene Stute. Für Koldewey sind dies alles nur Störgeräusche, die ihn von seiner epochalen Arbeit abhalten. So lästig wie die Hitze und die ständigen Fragen seines unbeholfenen Assistenten, dem er momentan kaum entfliehen kann. Er erinnert sich an einen einige Jahre zurückliegenden Besuch in Berlin, als eine Bemerkung seinerseits an der Hybris des Monarchen abprallte und er froh war, sich wieder in Richtung Zweistromland verabschieden zu können.

Es kostet schon etwas Mühe, diesen mit religionsgeschichtlichen und archäologischen Fragestellungen gespickten Roman zu lesen. Aber wer sich daran macht, die Bedeutungsschichten freizulegen, wird mit überraschenden Funden belohnt.

Cusanits menschenscheuer Held geht einem so schnell nicht wieder aus dem Sinn. Koldewey hat für seinen Kollegen Walter Andrae, den er als einzigen wirklich mag, schließlich noch einen guten Tipp zum Abgang bereit: „Wir dürfen nur in einem Ausgrabungsschacht verschüttet oder von einer Statue erschlagen werden, oder aber infolge geistiger Überarbeitung an Arterienverkalkung sterben; alles andere ist untunlich.“

(gat)