Bestsellerautorin aus Aachen : „Ich habe jeden Tag Heimweh!“
Interview Aachen Auch mit ihrem neuen Roman kehrt Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy wieder in ihre Geburtsstadt Aachen zurück. Ein Gespräch über die alte Heimat und neue Wege, über Pubertät und Streuselbrötchen.
Unterwegs von Hamburg in ihre Geburtsstadt Aachen: Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy sitzt am Steuer, hinten im Auto zwei Kisten voller Bücher. Die 54-Jährige wird Buchhandlungen mit signierten Exemplaren ihres neuen Romans „Morgen kann kommen“ versorgen. Auf der Fahrt hat sie Zeit für ein Gespräch über ihre alte Heimat und neue Wege, über Pubertät und Streuselbrötchen.
Frau von Kürthy, erst Pandemie, jetzt Krieg. Wie ist es für Sie, derzeit Autorin zu sein?
Ildikó von Kürthy: Es ist überhaupt schwer, in dieser Zeit Mensch zu sein und die Zuversicht nicht zu verlieren. Das ist für eine Autorin genauso schwer wie für eine Kinderärztin. Aber ich bin wie wahrscheinlich die meisten berufstätigen Menschen froh, dass ich eine Arbeit habe, die mich ablenkt, erfüllt und fordert.
Aber beeinflusst die Weltlage Ihre Arbeit als Schriftstellerin und Journalistin?
Kürthy: Da ich nicht über den Krieg oder Politik berichte, beeinflusst sie meine Arbeit nicht direkt. Aber natürlich indirekt, da solche Krisenzeiten immer Zeiten der verstärkten persönlichen Entwicklung sind.
Dass Sie nicht über den Krieg berichten, ist mir schon klar. Aber es gibt ja auch einen Schriftsteller wie Maxim Biller, der angesichts des Krieges in der Ukraine angekündigt hat, keinen Roman mehr schreiben zu wollen. Welchen Sinn habe es jetzt noch, Schriftsteller zu sein, fragt er sich. Was halten Sie davon?
Kürthy: Das verstehe ich nicht. Ich finde, es ist die vornehmste Pflicht und Möglichkeit von Künstlern und Kreativen, Menschen zu unterhalten und auch sie aus ihren Sorgen und Ängsten eine Zeit lang zu entführen. Ich persönlich liebe es, in Zeiten wie diesen Romane zu lesen oder ins Kino zu gehen, um eine Weile das Leid der Welt zu vergessen. Das finde ich nicht ehrenrührig. Ich würde überhaupt nicht funktionieren können, wenn ich mich nicht gezielt ablenken würde. Unterhaltung ist besonders jetzt extrem wichtig!
Und Sie meinen auch, dass Ihre Bücher Trost oder Ablenkung bieten können und eben unterhalten?
Kürthy: Es wäre schön, wenn sie etwas anstoßen, im besten Fall eine Unterhaltung hervorrufen würden.
Wobei Sie die Unterscheidung zwischen Unterhaltungsliteratur und Literatur gar nicht mögen.
Kürthy: Die Unterscheidung zwischen U und E interessiert mich nicht. Alles, was gut gemacht ist, ist unterhaltend. Auch „Hochliteratur“ ist im besten Fall unterhaltsam, weil sie eine Unterhaltung anregt.
Es ist ja schon unter normalen Umständen so schwer, das Leben hinzubekommen. Von diesen alltäglichen Problemen erzählen Ihre Bücher – auch der neue Roman „Morgen kann kommen“. Wie würden Sie dessen Inhalt in einem Satz knackig zusammenfassen?
Kürthy: Besser in einer Frage: Wo bin ich, und wo will ich hin? Oder auch: Wer bin ich, und wer will ich eigentlich sein?
Dann ergänze ich noch ein bisschen Inhalt: Ihre Ich-Erzählerin Ruth Westphal, Reisekauffrau aus Westfalen, wagt mit 51 einen Neuanfang, nachdem ihr Mann sie betrogen hat – nicht nur sexuell. Da wir hier nicht im Literatur-Seminar sitzen, sei die Frage erlaubt: Was von Ildikó findet sich in Ruth?
Kürthy: Ruth ist eine Frau, die im Schatten steht, die in einer extrem gestörten, toxischen Beziehung lebt. Das ist bei mir nicht so. Aber ich kenne sehr wohl Verzagtheit, Ängste und das Gefühl, mich nicht so entfaltet zu haben, wie ich das hätte tun sollen. In den beiden ungleichen Schwestern Ruth und Gloria werden sich, glaube ich, alle Frauen wiederfinden können: Da ist einerseits die Verzagte, die es allen recht machen will, und andererseits die Widerständige, die Rebellin.
Und wie Ruth den Aufbruch wagt, haben auch Sie selbst den Eindruck, sich entfalten und neue Wege gehen zu müssen?
Kürthy: Ich kann und darf das! Da bin ich in einer sehr privilegierten Situation. Ich kann zum Beispiel neue Wege gehen, indem ich das Experiment wage, diesen Roman zum ersten Mal nicht nur mit einer Ich-Erzählerin zu schreiben, sondern mit Perspektivwechseln. Indem ich einen Podcast mache, eine Homepage gestalte oder in Social Media aktiv bin. Was für ein Geschenk, dass ich als Frau Mitte 50, wo so viele darunter leiden, unsichtbar zu werden, auf neuen Wegen total sichtbar werden kann!
Ruth flieht mit ihrer sabbernden Dogge Dagmar in die alte Villa ihrer verstorbenen Großeltern. Die heißt bezeichnenderweise „Villa Ohnsorg“ und ist für sie „Heimat“. Ein Begriff, der für Sie persönlich auch sehr wichtig ist …
Kürthy: Ja, ich bin sehr heimatverbunden. Heimat – das ist meine Geburtsstadt Aachen. Ich habe jeden Tag Heimweh! Gleichzeitig empfinde ich Hamburg, die Stadt, in der ich lebe und in der meine Kinder aufwachsen, als mein Zuhause.
Welche Kontakte haben Sie noch in Ihre alte Heimat?
Kürthy: Ich habe sehr enge Freundinnen, mit denen ich zur Schule gegangen bin oder im Roxy getanzt habe. Von den Älteren besuche ich die meisten leider mittlerweile auf dem Friedhof.
Auf dem Friedhof Hand in Aachen-Laurensberg, der auch im Roman erwähnt wird? Da sind auch Ihre Eltern bestattet worden.
Kürthy: Genau, da gehe ich umher unter alten Bekannten. Das ist immer traurig, aber auch schön.
Schön, dass Sie Ihre alte Heimat nicht vergessen und immer wieder in Ihren Büchern erwähnen.
Kürthy: Immer! Das ist zwanghaft! Immer müssen Aachen, Printen, Karl der Große rein!
Diesmal auch Jülich und Armin Laschet, Reisfladen und Streuselbrötchen. Letztere allerdings verorten Sie irritierenderweise in Köln. Da gibt es natürlich keine echten Streuselbrötchen, Frau von Kürthy!
Kürthy: Stimmt, das musste ich ein bisschen weiter fassen. Aus Hamburger Sicht ist Aachen und Köln eins, und Streuselbrötchen kennt man dort sowieso nur vom Hörensagen.
Hoffen wir, das verzeihen Ihnen die Öcher Bäcker. Eine Heimat eröffnet auch die Widmung Ihres Romans: „Meiner Mutter“ lautet sie. Warum?
Kürthy: Darüber habe ich lange nachgedacht, weil es nicht nur eine Widmung ist, sondern auch ein Nachruf und eine Entschuldigung. Meiner Mutter ist die Befreiung eigentlich nicht gelungen. Die Befreiung, die ich im Roman auf unterschiedliche Weise beschreibe. Meine Mutter durfte wie viele ihrer Generation nicht zu der Frau werden, die in ihr steckte. Sie war eine Unentfaltete. Das tut mir sehr leid. Sie hat im Schatten meines Vaters gestanden und auch in meinem.
Ihr Vater war Hochschullehrer für Pädagogik, Ihre Mutter Bibliothekarin. War sie der Grund Ihrer Bücherliebe?
Kürthy: Bücher waren bei uns Einrichtungsgegenstände. Ein Haus ohne Bücher ist für mich nicht eingerichtet. Bei uns wurde viel gelesen, nicht nur weil meine Mutter gerne las, sondern auch weil mein Vater blind war. Ihm musste alles vorgelesen werden. Von beiden habe ich also gelernt: Bücher sind Lebensmittel.
Und Ihre Mutter war „eine Unentfaltete“ wegen patriarchaler Strukturen?
Kürthy: Ja, sie hat als Hilfskraft für meinen Vater gearbeitet. Aber ich bin auch noch aufgewachsen in patriarchalen Strukturen, etwa mit männlichen Helden wie Superman, Batman und Bruce Willis. Das ist ja erst ein Fingerschnips der Geschichte, dass das Patriarchat ins Wanken gerät.
Das Patriarchat gerät auch in Ihrem Buch ins Wanken. „Morgen kann kommen“ ist eine Me-too-Geschichte. Außerdem geht es um selbstgewähltes Sterben. Wieso diese Themen?
Kürthy: Rein handwerklich sind es Themen, die Spannung erzeugen. Es gibt ein Verbrechen, das die beiden Schwestern entzweit und das unaufgeklärt ist. Und es gibt „den guten Sozi“ Rudi, der einen tödlichen Hirntumor hat und seinen letzten Tag selbst bestimmen will. Persönlich bin ich von diesen Themen nicht betroffen, aber sie berühren und bewegen mich. Das ist das Tolle, als Schriftstellerin kann ich das erfinden, klauen, die Lebensgeschichten anderer verwerten, mich hineinversetzen – herrlich!
Persönlich betroffen sind Sie allerdings von der Pubertät – Ihr Sohn Gabór ist 15, Leonard elf. Im Roman fällt der für Eltern sehr beruhigende Satz: „Es gibt keine sympathischen Pubertierenden.“ Diese Einsicht beruht schon auf eigenen Erfahrungen?
Kürthy: Nicht nur! Mein pubertierender Sohn ist supersympathisch. Meistens. Aber es ist eine Zeit der inneren und äußeren Umgestaltung. Das ist ja bei mir nicht anders! Pubertät trifft in unserer Familie auf Wechseljahre. Ein Hormonunwetter der Extraklasse. Echt eine harte Zeit. Das Hygienebedürfnis eines Heranwachsenden unterscheidet sich deutlich von meinem. Ich muss mich immer noch sehr zusammenreißen, nicht heimlich bei ihm zu lüften oder die ganzen herumfliegenden Blätter abzuheften. Aber wir reifen miteinander. Auch weil mein Nestbauhormon abnimmt, kann ich mittlerweile besser loslassen. Wir müssen beide flügge werden!
Wann kommt denn Ihr Pubertäts-Ratgeber raus?
Kürthy: Ich bin ja nicht so gut im Rat geben, weil ich oft selbst ratlos bin. Zwar habe ich ein Buch über Babys herausgebracht, aber das fand ich leichter. Als ich da vom „Spritzstuhl“ geschrieben habe, der den Rücken hochkrabbelt, hatte ich noch nicht das Gefühl, Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Bei einem 15-Jährigen finde ich das schwieriger. Da müsste mir mein Sohn sein Plazet geben. Und so wie er im Moment gestrickt ist, würde er das nicht tun. Das „Haltet durch!“-Buch kommt also erst, wenn der Letzte aus dem Haus ist.
Haben Sie denn sonst schon Neues in Arbeit?
Kürthy: Bei „Morgen kann kommen“ gelingt mir das Abschiednehmen nicht. Daher werde ich eine Fortsetzung schreiben.
„Übermorgen kann kommen“!
Kürthy: Genau. Der Arbeitstitel lautet „Übermorgen“. Und ich bereite gerade die Show zu „Morgen kann kommen“ vor, die ich auch in Aachen präsentieren werde. Da lese ich im Dialog mit einer Partnerin, singe die grauenvollsten Songs der 80er und werde zum ersten Mal auch tanzen. Keine Ahnung, ob das gelingt. Hauptsache, es wird lustig – oder rührend.