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Neuer Roman von Giuliano da Empoli: Das Buch der Stunde über „Zar“ Putin

Neuer Roman von Giuliano da Empoli : Das Buch der Stunde über „Zar“ Putin

Mit seinem Roman „Magier im Kreml“ gelingt Giuliano da Empoli das Kunststück, mehr Erkenntnisse über Putin aufzutischen als die meisten Sachbücher bislang offenbart haben.

Das wichtigste Sachbuch der Saison ist ein Roman. Giuliano da Empoli hat ihn geschrieben: „Der Magier im Kreml“. Sein erster Roman hat in Frankreich mit über 300 000 verkauften Exemplaren schon Furore gemacht. Er wurde mit dem Grand Prix du Roman de l’Académie Française ausgezeichnet und unterlag im Rennen um den Prix Goncourt erst im 14. Wahlgang.

Worum geht es? Der Autor ist bei seinen Recherchen auf die Figur von Putins langjährigem Berater Wladislaw Surkow gestoßen. Diese Figur wird im Roman zu dem Protagonisten Beranow, einem aus Fernsehunterhaltungen bekannten Künstler, der sich zum willigen Berater Putins machen lässt, bei vielen Manipulationen gegen das zarte Pflänzchen der russischen Demokratie nach dem Ende der Sowjetunion mitwirkt und schließlich auch wie ein neuer Rasputin Ideen zu Gewalt und Verbrechen beisteuert. Skrupel tauchen erst gegen Ende auf, dann endet auch seine Beratertätigkeit. Im Roman wird Putin meist als der „Zar“ bezeichnet.

Baranow wird durch eine Rahmenhandlung eingeführt: Ein französischer Wissenschaftler forscht in Moskau über den Schriftsteller Samjatin und dessen Roman „Wir“, in dem er dystopisch – Orwell vorwegnehmend – die Auslöschung jeglicher Individualität an die Wand malt. Bei diesen Nachforschungen stößt er auf Baranow oder auch umgekehrt. Sie verabreden ein Treffen in dessen Landhaus. Dort zeigt ihm Baranow den bewegenden Brief Samjatins an Stalin aus den 1920er Jahren, in dem der mit Schreibverbot belegte Autor um die Erlaubnis zur Ausreise aus der Sowjetunion bittet und damit Erfolg hat.

 Giuliano da Empoli,  „Der Magier im Kreml", 265 Seiten, 25 Euro, C.H. Beck.
Giuliano da Empoli, „Der Magier im Kreml", 265 Seiten, 25 Euro, C.H. Beck. Foto: C.H.Beck

Danach beginnt der lange Monolog von Baranow, in dem er einem namenlosen Besucher seine eigene Entwicklung vom Fernseh-Unterhalter zum Berater Putins, seine Beteiligung an den Manipulationen gegen die russische Verfassung, an der Ausschaltung von Konkurrenten wie dem Yukos-Milliardär Beresowski oder dem Oligarchen Chodorkowski erzählt.

Der Autor nennt diese beiden mit Klarnamen, weil deren Rollen öffentlich bekannt sind. Hatte Baranow anfangs noch Skrupel – die Gewöhnung an Manipulation, Gewalt und Verbrechen stumpft ihn ab. Erst als die Krise um die Ukraine und um die sogenannten russischen Gebiete im Osten des Nachbarlandes eskaliert, endet seine Beratertätigkeit.

Das alles schreibt da Empoli, mit dem Wissen des Politikprofessors, nach intensiver Recherche und auch aus eigener Erfahrung im Politikbetrieb: Er war Berater des früheren italienischen Ministerpräsidenten Renzi und hat Erfahrung mit den „Höfen“, die sich um Mächtige bilden und die sich seit jeher wie ein Gravitationsfeld um Herrscher bilden.

Mit dieser Expertise schreibt da Empoli aber kein Sachbuch, sondern einen stilistisch reifen ersten Roman. Er verknüpft Fakten und Fiktion zu einer Einheit, die eindrucksvoll das ganze Ausmaß der Gewalt des Kremls, die Anpassung des eigentlich zivilen Beraters Baranow aufzeigt. Und er erfindet eine gute Liebesgeschichte zu dem politischen Geschehen: Anfangs sind Baranow und seine Freundin Xenia ein harmonisches Paar, bis Xenia den Verlockungen des Oligarchen Beresowski folgt.

Erst nach dessen Selbstmord nähert sie sich zögernd wieder dem früheren Freund, der inzwischen entlassen ist, aber auf einer „non-grata-Liste“ der EU und der Nato steht. Ein ganz kleines Zeitfenster nutzen die beiden, um kurz nach Stockholm zu fliegen. Dort tauchen sie, Xenia vorweg, in die eiskalte Ostsee ein. Xenia ist schwanger, sie erwartet ein Kind, und Baranow erkennt in ihr den unbändigen Willen zur Freiheit.

Nach dem langen Monolog Baranows sitzen sein Besucher und er noch zusammen. Baranow ist tief deprimiert und hat eine ähnliche Vision wie Samjatin in seinem Roman „Wir“ vor 100 Jahren: die Auslöschung der menschlichen Individualität durch Künstliche Intelligenz. Da kommt Anja, die zweijährige Tochter von Baranow und Xenia im Nachthemd ins Zimmer, und Baranow lebt auf: „Ich glaube nicht, dass ich vor Anja gewusst habe, was Angst ist.“ sagt Baranow zu seinem Besucher. „Sie hat ihre Finger auf meine Lippen gelegt und mich mit einem Blick angesehen, den ich noch nie zuvor in einem anderen Gesicht gesehen habe. Da habe ich begriffen, dass mein Leben in ihren Händen liegt und nicht umgekehrt.“

An dieser etwas heiklen Stelle des Romans zeigt sich die literarische Qualität, die stilistische Sicherheit des Autors und auch seiner vortrefflichen Übersetzerin Michaela Meßner: Das ist weit weg von Kitsch, sondern reine Menschlichkeit. Großartig!