Autobiografie „My Generation“ von Roger Daltrey : The Who und der Wahnsinn
Sänger Roger Daltrey gibt in seiner Autobiografie „My Generation“ tiefe Einblicke in sein privates Leben und das der großen Rockband. Ein fesselndes Stück Zeitgeschichte.
Da steht dieser Mann auf der Bühne. In einer Fransenjacke. Das Kabel mit dem Mikrofon am Ende schleudert er durch die Luft. Die langen lockigen Haare wallen engelsgleich. Dieses Bild hat sich eingeprägt. In dieser Pose hing er auf Postern in unzähligen Jugendzimmern. Roger Daltrey hat mit der Band The Who Rockgeschichte geschrieben, ist bis heute, mit 75, sporadisch immer noch mit ihr aktiv. Mit „My Generation“ hat der Sänger seine Autobiografie vorgelegt. Sie ist nun auch auf Deutsch erschienen.
Der Buchtitel ist doppeldeutig. Einerseits zitiert er einen der großen Who-Klassiker. Andererseits wurde Daltrey zur Stimme einer ganzen Generation, als die Rockmusik noch einschneidende Umwälzungen bewirkte und die Gesellschaft nachhaltig veränderte. Roger Daltrey ist zugleich Zeitzeuge und mitprägende Figur. Er schaut hier auf sein Leben zurück, gibt Einblicke in private Entwicklungen und schildert aus seiner Sicht den Werdegang von The Who mit seinen vielen Höhen und Tiefen. Informativ und doch emotional – spannend zu lesen.
Die Vorgeschichte
Von der Who-Historie ist ja vieles bekannt. Von den Hits, den Alben, von Monumentalwerken wie „Tommy“, der Rockoper, den spektakulären Shows, dem oft schwierigen Verhältnis zwischen Daltrey und Gitarrist und Songschreiber Pete Townshend, den Eskapaden, vor allem von Schlagzeuger Keith Moon, den Toden von Moon und Bassist John Entwistle. Das alles nimmt in dem Buch natürlich breiten Raum ein. Aber hochinteressant ist etwa auch die Vorgeschichte, wie es zu all dem kommen konnte.
Das Buch beginnt mit einem unerwarteten Einstieg, an den man nicht unbedingt zuerst denkt bei diesem Rockstar: einem Zusammenbruch auf der Bühne 2007. Ausgehend davon lenkt der Londoner den Blick bald auf seine Kindheit. Seine Mutter hielt 1944 extra durch, damit er am 1. März geboren und nicht ein Schaltjahresbaby wurde. Das wäre wohl nicht so schön gewesen, meint er. Andererseits wäre er dann heute erst achtzehneinhalb – da blitzt er erstmals auf, der trockene Humor, der einem im Verlauf des Buches immer mal wieder begegnet.
Daltrey beschreibt seine frühen Erlebnisse: Angriffe der Deutschen, es tobte ja noch der Zweite Weltkrieg, die Rückkehr des Vaters aus dem Krieg, Lebensmittelknappheit, ganz einfache Verhältnisse. Später sang er im Kirchenchor. Er bezeichnet es als eine glückliche Kindheit. Aber er musste sich auch alles erkämpfen; und „diese Lektion“ prägte früh sein Leben mit. Später traumatische Schulerfahrungen: Er lernte, sich zu verteidigen – und selbst auszuteilen. Daltrey mochte keine Regeln. „Rebellion liegt mir im Blut“, sagt er an einer anderen Stelle. An seinem 15. Geburtstag flog er von der Schule. Er baute seine erste Gitarre selbst, sang mit Kollegen ständig bei der Arbeit – eine weitere prägende Erfahrung.
Schon früh war die Musik Daltreys Ding. Die erste Band mit Skiffle, mit Coversongs. Dann kamen Entwistle und Townshend ins Spiel; die Anfänge für die späteren Who waren gelegt. In den frühen 60er Jahren veränderte sich viel. „Es war eine unglaublich aufregende Zeit.“ Roger Daltrey erzählt, wie es dazu kam, dass die erste Gitarre von Townshend auf der Bühne zerschlagen wurde. Wie überhaupt die Zerstörung des Equipments jahrelang zu einem Markenzeichen von The Who werden sollte, was Daltrey gar nicht lustig fand.
„Das meiste davon war nur Show“
Da ist man schon bei den Spannungen, den ständigen Streitereien, die schon früh auftraten und zum öffentlichen Erscheinungsbild der erfolgreichen Band gehörten. Und was sagt der Sänger dazu? „Das meiste davon war nur Show.“ Es sei nie destruktiv gewesen, es sei um „eine bedrohliche Ausstrahlung“ gegangen. Dennoch waren natürlich auch Aggressivität, Wut und Energie stete Räder in dieser Erfolgsmaschinerie.
Das hätten die Leute auch erwartet von einer Rockgruppe. „Beste Freunde waren schon die Beatles“, sagt Daltrey über die frühen Jahre. Er lässt tief ins ins Bandleben schauen, ins Auf und Ab der Jahre. Als Einziger des Quartetts hielt er nichts von harten Droge; auch das führte zu Zerwürfnissen. Dann das Chaos von Woodstock und der zunehmende Wahnsinn im Getriebe dieser großen Rockband zwischen Ego-Trips und Selbstzerstörungs-Tendenzen.
Auf der anderen Seite der Privatmann, die wichtige Rolle seiner zweiten Frau Heather, die er 1971 heiratete und mit der er bis heute zusammen ist, die Familie. „Wenn wir alle längst tot und zu Staub zerfallen sind, wird die Musik weiterleben“, meint er am Schluss. Ja, und das Bild des Mannes mit der Fransenjacke. „Ich habe Glück gehabt. Ich hatte ein glückliches Leben.“ Ein fesselndes Stück Zeitgeschichte, diese Autobiografie.