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Aachen: „Brokeback Mountain“: Diese Liebesgeschichte geht zu Herzen

Aachen : „Brokeback Mountain“: Diese Liebesgeschichte geht zu Herzen

Die Liebe im Allgemeinen und ihre körperlichen Auswüchse im Besonderen nehmen auf Opernbühnen bisweilen peinliche Züge an. Wenn zwei Liebende einander an die Wäsche gehen müssen und dabei auch noch singen sollen, ist das häufig zum Wegschauen.

Am Theater Aachen knutschen nun zwei schwule Cowboys reichlich anzüglich miteinander, und an die Wäsche gehen sie sich auch. Aber Regisseur Ludger Engels hat es — im Team mit seinen beiden exzellenten Protagonisten — auf wundersame Weise hinbekommen, dass man sich nicht fremdschämen muss im Parkett, sondern sich einlässt auf eine letztlich ergreifende Liebesgeschichte.

Die Hauptdarsteller: Christian Tschelebiew, Mark Omvlee (hinten) — sie überzeugen wie das gesamte Ensemble.
Die Hauptdarsteller: Christian Tschelebiew, Mark Omvlee (hinten) — sie überzeugen wie das gesamte Ensemble. Foto: Wil van Lersel

Die Spannung war groß vor der Premiere der Oper „Brokeback Mountain“ von Charles Wuorinen, die dazu eine deutsche Erstaufführung ist. Denn der überaus erfolgreiche Film zur Kurzgeschichte von Annie Proulx wirft lange Schatten, von der Uraufführung im Januar in Madrid wurde ebenfalls hauptsächlich Gutes berichtet. Skeptiker allerdings werden ziemlich überrascht von dieser ambitionierten Produktion vom Rand der Republik: Die Inszenierung findet zu vielen starken Momenten — und wird vom Premierenpublikum ausgiebig beklatscht.

Gefühlslandschaft ausgebreitet

Aus klanglicher Tiefe von Kontrafagott, Pauke, Klavier und Kontrabass entwickelt Wuorinen, Altmeister unter den angesagten US-Komponisten, seine Partitur. Aus diesem dumpfen, monotonen Pulsen sprießt mit Holzbläsern, Streichern, diversen Stabspielen und schließlich martialischem Blech eine Musik, die vor allem eine Gefühlslandschaft ausbreitet. Mit dem wie aus dem Setzkasten gepuzzelten zwölftönigen Klangvorrat untermalt Wuorinen — und ihm treu und expressivst folgend Kazem Abdullah und das Sinfonieorchester Aachen im Graben — das Unsagbare in der Geschichte von den beiden Cowboys, die am titelgebenden „Berg des gebrochenen Rückens“ von ihrer Zuneigung zueinander übermannt und nachhaltig verunsichert werden.

Im konservativen Wyoming spielt sich zwischen 1963 und 1983 das Drama ab, das vorführt, wie Ennis und Jack mit ihrer Utopie gleichgeschlechtlicher Liebe scheitern, in ihren „normalen“ Ehen, im Beruf, in ihrer Beziehung.

Bei allen Klischees und trotz des finalen Ewige-Treue-Pathos geht das Libretto und auch die Oper immer wieder zu Herzen. Warum? — Weil sie zeigt, dass Liebe eine Naturgewalt ist, die Grenzen sprengen will und Konvention, wenn sie denn wachsen kann. Überall auf der Welt. Ennis und Jack jedenfalls, so sehr sie auch wollen, wagen ihre Liebe nicht so stark, dass sie den Pferch gesellschaftlicher Normen verlassen könnten. Traurig so was.

Ludger Engels versucht sich erst gar nicht an wie auch immer geartetem Naturalismus. Er schöpft die Wirkung seiner Inszenierung — anders als der Film und die Opern-Uraufführung — aus den Mitteln des Theaters. In einem roh mit einem Raster aus Latten zusammengehauenen Bühnenkasten wirbelt er das improvisierte Mobiliar per Drehbühne durch die von Zeit- und Ortswechseln geprägte Handlung. Da schwebt auch mal ein Bierkasten aus dem Schnürboden, wenn eine Bar gebraucht wird.

Der Berg, Fluch und Sehnsuchtsort zugleich, kippt anfangs aus dem Prospekt, um sich bis zum Unhappy End in den Oberstübchen der Einfamilienhäuser der Protagonisten einzunisten. Christin Vahl ist da eine wunderbar zeichenhafte, bestens bespiel- und besingbare Bühne gelungen.

Ähnlich wie Wuorinens Klänge finden auch diverse Bretterbuden auf der Bühne wie Puzzleteile in- und zueinander, in der die Cowboys ihre an Freude, Lust und Erfolg karge bürgerliche Existenz fristen. Mark Omvlee (Jack) und Christian Tschelebiew (Ennis) zicken hier mit ihren Ehefrauen und Kindern herum. Zum wahren Leben und immer berückenderen Gesangsszenen finden sie in der Einsamkeit von Berg oder Motel. Tenor Omvlee gelingen wunderbare Kantilenen, auch Bassist Tschelebiew eignet im Schluss-Lamento über Jacks Tod endlich der kantable Ausdruck, den ihm der Komponist bis dahin vorenthält.

Charmante Klänge

Man kann diese Oper ganz gut anhören. Das atonale Material ist übersichtlich, nicht sonderlich ungewohnt und seine Funktion klar. Meist geht es laut zu im Graben, denn großes Drama ist fast immer und dann ausgiebig in Blech. Charmanter klingen da schon die vielen Farben der Stab-spieler, leise Töne sind selten, aber desto eindringlicher: Wenn Ennis’ Frau Alma (Antonia Bourvé) ihrem Mann nachweint, brodelt aus der Stille Verzweiflung.

Die Regiearbeit von Ludger Engels sucht diese Momente auf, ohne sie zu überhöhen. Seine Figuren kommen selbstverständlich daher, das ist die Kunst. Wir erwähnen hier, stellvertretend für ein ausnahmslos überzeugendes Ensemble, die Ehefrauen, Alma und Laureen (Polina Artsis), beide äußerst talentierte Sopranistinnen, die ihre Figuren eindringlich gestalten. Grandios der Alt von Ceri Williams (Mutter, Bedienung). Bei all dem lässt Engels sich die Möglichkeit zur Ironie nicht entgehen. Vielleicht ist so eine Figur wie die Fast-Nackte, die mit Schildern wie „Home sweet home“ über die Bühne stöckelt, ja ein Reflex auf die Opern-Konventionen, die Wuorinen in seine Partitur einbaut: Vorspiel, antikischer Chor, Geisterszene. Jedenfalls lässt das Gogogirl schmunzeln, und das bei all dem Elend.