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Aachen: Bravo-Rufe für das Theater K und Handkes „Kaspar“ im Ludwig Forum

Aachen : Bravo-Rufe für das Theater K und Handkes „Kaspar“ im Ludwig Forum

Still und ordentlich, aufgeräumt und hübsch eingerichtet wollen es die Stimmen haben, die auf Kaspar einreden. Endlich Ruhe nach dem Zweiten Weltkrieg, bloß niemanden Aufruhr stiften lassen, der merkt, dass er in dieser Ordnung weniger Rechte hat, als ihm zustehen sollten — so wollten es wohl viele in den machthaltenden Schichten der späten 60er Jahre.

Mitten in der Ausstellung „Flashes of the Future“ im Aachener Ludwig Forum lässt Regisseur Guido Rademachers das Ensemble des Theater K ausloten, wie Sprache das Denken eines Menschen formt.

„Kaspar“ ist eine textliche Tour de Force. Autor Peter Handke sagte über das 1968 uraufgeführte Stück, man hätte es auch „Sprechfolterung“ nennen können. In nicht enden wollenden Textschlangen prasseln die Stimmen von Mona Creutzer, Jochen Deuticke, Barbara Portsteffen, Anton Schieffer und Svenja Triesch, größtenteils vom Band, auf Kaspar (Annette Schmidt) ein.

Dem Ensemble gelingt es, sich zwischen den wechselseitig von ihnen abgefeuerten Textsalven perfekt aufeinander abzustimmen. Sie verkörpern dabei in biederen 60er-Jahre-Kostümen keine unterscheidbaren Figuren, sondern die eher abstrakte Gruppe Machthabender. In einer ebenso abstrakten Umgebung — neben Tisch, Stühlen und Matratze bildet eine Obstschale den einzigen Kontrast zur grauen Bühne — wirken sie von allen Seiten auf Kaspar ein. Über ihm werden die Phasen des an ihm durchgeführten Experiments auf eine Leinwand projiziert.

Kaspar spricht zu Beginn nur einen einzigen Satz: „Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“ In 16 Phasen versuchen die bürgerlichen Einsager, dem jungen Kaspar das Hirn zu waschen. Denn: Wer Kritisches nicht formulieren kann, kann nicht darauf reagieren, kann keinen Aufruhr stiften. Sie reden auf ihn ein, bis er ihren Duktus adaptiert, sein Satz durcheinandergerät und schließlich in Fragmente zerfällt. Dann wird ihm ein neuer Bezugsrahmen eingebläut, einer, der ihn Disziplin lehrt, der ihn das schief geknöpfte Hemd richten und die offenen Schnürsenkel binden lässt.

Was das alles mit der 68er-Bewegung zu tun hat, die Frage wirft das Theater-K-Ensemble mit einer scheinbar aus dem Publikum gestellten Frage (Norman Nowotko) selbst auf. Das bringt das Ordnungssystem zum Kippen. Die fünf Darsteller, die die Stimmen aus dem Off verkörpern, brechen erst jetzt aus ihrem bis hierhin fast roboterartigen Duktus aus, sprechen selbst, anstatt zum Text vom Band die Lippen zu bewegen.

Kaspar gibt das Zeit, sich zu besinnen. Er beginnt zu hinterfragen, warum er eigentlich ein anderer werden und nicht er selbst sein soll. Annette Schmidt, die während der 70-minütigen Aufführung ohne Einspieler vom Band zurechtkommen muss, setzt eine bemerkenswerte Menge Text beeindruckend schauspielerisch um.

Die rund 100 Premierenzuschauer im Ludwig Forum haben dafür zahlreiche Bravo-Rufe und anhaltenden Applaus übrig.