Paderborn : Blindenschrift macht Bücher dicker
Paderborn Lektorin Birgit Krebs sitzt in ihrem Büro in der „Pauline-von-Mallinckrodt” -Druckerei in Paderborn und korrigiert einen ungewöhnlichen Text: Statt leserlicher Buchstabenreihen erscheinen auf ihrem Bildschirm scheinbar willkürlich aneinander gereihte Zeichen - Rauten, Sterne, Buchstabengewirr.
„Hieroglyphenschrift” nennt das die Lektorin - eine Vorform der Blindenschrift. „Die kann man lernen wie Vokabeln”, sagt Krebs.
In Nordrhein-Westfalens einziger Blindenschrift-Druckerei werden jährlich etwa 120 verschiedene Bücher verlegt und gedruckt. Hinzu kommen Zeitschriften und Kalender. Das vom Deutschen Katholischen Blindenwerk getragene Verlagshaus arbeite nach dem Subskriptions-Prinzip, sagt Verlagskauffrau Yvonne Delfino: Die rund 3000 Kunden im deutschsprachigen Raum erfahren vorab, welche Bücher im jeweils kommenden Quartal angeboten werden. Gedruckt werden später nur so viele Bücher, wie vorbestellt sind - nicht mehr.
Meist habe ein Titel eine Auflage zwischen einem und etwa 30 Exemplaren. Im vergangenen Jahr seien neben Romanen vor allem Kochbücher die Renner gewesen, sagt Delfino. 25 Stück von ihnen wurden verkauft. Die gemeinnützige Einrichtung erwirtschaftete 2004 einen Umsatz von insgesamt rund 200.000 Euro. Die Kosten seien allerdings um einiges höher, sagt Delfino. Darum sei das Verlagshaus auf Spenden angewiesen.
Gedruckt wird, was im Handel gerade angesagt ist. Allerdings gibt es Tabus: „Erotische Bettgeschichten kommen für uns ebenso wenig in Frage wie kirchenfeindliche Bücher”, sagt Delfino. Spezialisiert hat sich das 160 Jahre alte Verlagshaus auf konfessionelle Titel. Sie machten etwa 20 Prozent des Angebots aus und seien bei den Kunden stark gefragt. „Viele Blinde suchen in ihrem Schicksal den Glauben”, erklärt Delfino.
Bis vor etwa 20 Jahren habe jedes Buch abgetippt werden müssen, erinnert sich Krebs. Heute haben die bundesweit vier Blindenschrift- Druckereien meist digitalen Zugriff auf die Bücher der großen Verlagshäuser. Umgesetzt in Blindenschrift - der so genannten „Braille” - nehme ein Buch etwa zweieinhalb Mal so viel Platz im Regal ein wie sein Pendant in Schwarzschrift. „Wälzer von 1000 Seiten drucken wir darum nicht”, sagt Delfino.
In Nordrhein-Westfalen leben etwa 34.000 blinde Menschen, in der gesamten Bundesrepublik rund 145.000. Schätzungen des Blinden- und Sehbehindertenvereins Westfalen zufolge können von ihnen nur etwa zehn Prozent „Braille” lesen. Viele Menschen erblindeten erst im Alter, erklärt die Sprecherin des Dortmunder Vereins, Maja Diedrich- Kummetz. Für diese Menschen sei es schwierig, im Alter die Blindenschrift zu erlernen.
Der ehrenamtliche Geschäftsführer der „Pauline-von-Mallinckrodt” - Druckerei, Michael Rembeck, beklagt außerdem, dass immer weniger blinde Kinder „Braille” lesen könnten. Sie gingen heute oft in die gleichen Schulen wie sehende Kinder. An einer Regelschule aber würden die blinden Kinder nur noch stundenweise, nicht aber mehr den ganzen Schultag lang in „Braille” unterrichtet, beklagt Rembeck.
Reiner Delgado, Sozialreferent beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, sieht das genauso. Blinde Schüler müssten an einer Regelschule nicht nachweisen, die Blindenschrift zu beherrschen. Für Rembeck gehört das aber zu einer qualifizierten Ausbildung. Er will die Blindenschrift darum fördern: „Denn wer nicht lesen kann, kann auch nicht schreiben”, sagt er.