1. Kultur

Aachen: Bewertungen von „nett” bis „grotesk”

Aachen : Bewertungen von „nett” bis „grotesk”

„Das ist einfach mal ein nettes Signal an die Geisteswissenschaften.” Ziemlich gelassen reagiert der Dekan der Bonner Universität, Georg Rudinger, auf das, was das nordrhein-westfälische Wissenschaftministerium als einen bundesweit einzigartigen „Exzellenzwettbewerb” anpreist.

Der Aachener Universitätsprofessor Christian Stetter nennt es schlicht „grotesk”. Vertreter aller anderen Hochschulen mit geisteswissenschaftlichen Fakultäten im Lande freuen sich vor allem, ein bisschen mehr Geld und Beachtung für ihre Anstrengungen zu bekommen.

Hannelore Kraft, NRW-Wissenschaftsministerin, steht nicht unbedingt im Ruf, allzu viel mit den Geisteswissenschaften anfangen zu können. Andererseits erst seit gut zwei Jahren im Amt, hatte die studierte Chemikerin auch gut zu tun, den von der Wirtschaft und auch weiten Teilen der Gesellschaft geforderten „Anwendungsbezug” in erster Linie für die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer zu propagieren. Außerdem drohen die Wortdisziplinen von Germanistik bis Soziologie nicht nur in Nordrhein-Westfalen im Innovationsrausch der Ingenieure unterzugehen.

Nun also, drei Monate vor der Landtagswahl, aber immerhin, bietet die Landesregierung 3,5 Millionen Euro an, um geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte bis Ende 2006 mit je 150.000 Euro zu fördern. Die zwei großen Themen sind allerdings, durchaus anwendungsorientiert, vorgegeben: „Friedfertige Gesellschaft” und „Gesellschaft des langen Lebens”.

Beteiligen können und sollen sich „alle Geistes- und Kulturwissenschaftler, die sich etwa mit den Themen wie Sprache, Philosophie, Medien, Kunst, Erziehung, Geschichte, Bildung oder Gesellschaft auseinandersetzen”. So die Anregung des Ministeriums. Die Philosophischen Fakultäten überlegen allerdings heftig, wie sie die vorgegeben Themen in ihrem Fächerkatalog unterbringen.

Dass die nicht unbedingt auf das Kerngeschäft der Geisteswissenschaften orientiert sind, sieht auch Georg Rudinger. Andererseits: „Natürlich geht zumindest die alternde Gesellschaft viele Fächer an”, und er selbst ist fachlich als Psychologe involviert. Der Dekan wünscht sich viele Vorschläge aus den einzelnen Fächern: „Das ist schon auch eine Nagelprobe für die Fakultät.”

Wie in Bonn ist auch an der Heinrich-Heine-Universtität in Düsseldorf das Thema „Altern” zunehmend im Blick der Forschung. „Es ist sehr begrüßenswert, dass die Ministerin auch die Kulturwissenschaften berücksichtigen will”, sagt Bernd Witte, Dekan der Philosophischen Fakultät. Düsseldorf werde sich in jedem Fall an dem Wettbewerb beteiligen. Allerdings habe man im Ministerium für Wissenschaft und Forschung offenbar eine falsche Vorstellung davon, „wie wissenschaftliche Forschung funktioniert”.

Die Antragsfrist für die Projekte beträgt nämlich gerade einmal sechs Wochen. Ein „vernünftiges Projekt” kann niemand in dieser Zeit aus dem Boden stampfen. Also wird das eine oder andere bislang nicht realisierte Projekt aus der Schublade gezogen und auf den Wettbewerbszweck hin formuliert werden.

Der Aachener Philologe Christian Stetter („Ich spreche hier als Professor und nicht als Dekan der Philophischen Fakutltät”) findet dieses Verfahren einfach unfair: „Wir arbeiten bis zu einem Jahr an der Konzeption, der Vorbereitung und der Formulierung von Anträgen für Forschungsprojekte.” Es gebe eine ganze Reihe förderungswürdiger Projekte in der Geisteswissenschaft, Literarisierung etwa, oder Medientheorie, aber „Altern und Frieden?”. Gutwillig betrachte könne man sagen, die Aktion könne den Disziplinen etwas Beachtung bringen.

Doch eigentlich sei es eine „Ohrfeige ins Gesicht der Geisteswissenschaften”. Zumal, davon ist Stetter überzeugt, das Geld für den Wettbewerb an anderer Stelle wieder abgezogen werde. „Da werden nur Mittel verschoben.” Ob und womit die RWTH sich an dem Wettbewerb beteilige, könne man noch nicht sagen.

Deutlich positiver äußern sich Vertreter der Universitäten von Münster, Bochum und Duisburg-Essen, obwohl auch sie die Einengung auf zwei Themen und die kurze Frist bedauern. „Ja, eine gute Sache”, meint Lothar Zechlin, Rektor der neuen Uni Duisburg-Essen. Und, immerhin, alle finden, dass man mit 150.000 Euro für ein Forschungsprojekt durchaus etwas anfangen könne, auch wenn es nicht üppig sei. Bernd Witte: „Wir Geisteswissenschaftler brauchen ja nur Bleistift und Papier.”