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Neu im Kino: Bewegte Zeiten, gebrochene Herzen

Neu im Kino : Bewegte Zeiten, gebrochene Herzen

Regisseur Dominik Graf nimmt uns mit ins Berlin der frühen 1930er Jahre – frei nach Erich Kästner.

Dominik Graf ist einer der begabtesten Regisseure unserer Zeit. Sogar seine „Tatorte“ sind noch halbwegs interessant. Auch weil er mit „Im Angesicht des Verbrechens“ und „München – Geheimnisse einer Stadt“ so etwas wie Städteporträts hingelegt hat, liegt die Verfilmung des Klassikers „Fabian“ von Erich Kästner als Hommage auf Berlin in guten Händen. Das Bildungsbürgertum wird nicht zu sehr verschreckt, die Cineasten freuen sich über nette Details und eine ansprechende Arbeit.

Der Schriftsteller Jakob Fabian (Tom Schilling) arbeitet im Berlin des Jahres 1931 nur fürs Geld in der Werbeabteilung einer Zigarettenfabrik. Den Frust lebt er nachts mit seinem wohlhabenden Freund Labude (Albrecht Schuch) in verruchten Kneipen, schillernden Bordellen und wilden Künstlerateliers aus.

Wunderschöne Liebesgeschichte

Doch dann lernt Fabian die selbstbewusste Cornelia (Saskia Rosendahl) kennen, die beim Film arbeitet. Er verliebt sich in sie, beide haben eine verrückt glückliche Zeit miteinander. Bis die Wirtschaftskrise zuschlägt. Fabian verliert seinen Job, und Cornelia macht Karriere als Schauspielerin, weil sie sich bei ihrem Chef und Verehrer prostituiert. Zu viel selbst für den hedonistischen Fabian, der an seiner Liebe zerbricht.

Erich Kästner, der sich mit einem fingierten Filmdreh im Tiroler Mayrhofen zu Kriegsende rettete, fing mit seinem 2013 erstmals unzensiert unter dem ursprünglichen Titel „Der Gang vor die Hunde“ (vorher: „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“, 1931) erschienenen Großstadtroman die Zeitstimmung der frühen 1930er Jahre und die Vorzeichen der Diktatur ein.

Auch der Film lässt die Ruhelosigkeit der Zeit spüren. Mit vielen grandiosen Sätzen Kästners – etwa: „Krieg, Inflation, Arbeitslosigkeit. Man lagert ab, nicht nur der Körper, auch der Kopp.“ „Fabian“ ist eine Skandalchronik vom Sodom und Gomorra des alten Berlins. Aber auch eine wunderschöne Liebesgeschichte. Und das Porträt einer Lebenshaltung: Fabian ist ein sozialer Mensch, gibt Bettlern Geld und holt einen Obdachlosen zum Entsetzen der Kellner zu sich ins Restaurant. Sein Selbstbild hingegen: „Kein Ehrgeiz. Ich sehe zu, das ist genug. Wem ist damit geholfen? Wem ist zu helfen?“ Und über seinen Job sagt er so treffend wie vernichtend: „Blumigen Unsinn schreiben, damit die Welt noch mehr Zigaretten rauchte als zuvor. Den Untergang Europas konnte er auch woanders abwarten.“

Vielfältige Stilmittel

Dominik Graf führt sein Können in der Collage vielfältiger Darstellungsformen vor: historische Aufnahmen, Split Screen, Stadtkarten und Stummfilmtitel. Tom Schilling zieht wieder wie in „Oh Boy“ durch die Nacht, nur sieht diesmal vieles nach „Babylon Berlin“ aus. Allerdings mit dem speziellen, besonders echt wirkenden Graf-Touch. Über einen Gang der heutigen U-Bahn taucht der Film elegant in die Vergangenheit ein und findet noch viel Zeitgemäßes in Architektur und Kunst.

Saskia Rosendahl brilliert als tragisches Herz des Films mit pragmatischem Überlebenswillen. Ein Stehaufmädchen und ähnlicher Typ wie die Charlotte „Lotte“ Ritter von Liv Lisa Fries in „Babylon Berlin“ – nur mit gebrochenem Herzen. Eine großartige Meret Becker bietet als Zuhälterin für schöne Jungs wunderbare Sätze auf, zum Beispiel: „Verhungern ist Geschmacksache“. Und auch im ironischen Off-Kommentar schwingt eine Haltung mit, der vorgeblich alles egal ist. Während die SA schon Menschen auf der Straße verhaftet.

Das alles ist auch über mehr als drei Stunden Länge gut anzusehen. Wobei Fabian selbst am zynischsten die Sinnfrage gestellt hätte: Wozu all der Aufwand? Vor dem Faschismus warnen wie gehabt? Die Gefahren für heute liegen woanders und werden in anderen Filmen gezeigt. (Aachen: Apollo) ★★★☆☆

„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ (Deutschland 2021), Regie: Dominik Graf, mit Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker, 186 Min., FSK: ab 12