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Aachen: Berührende Zeugnisse von Gezeichneten

Aachen : Berührende Zeugnisse von Gezeichneten

Aberwitz, Grausamkeit, Leid, Widerstand und noch andere Dinge mehr: Schon in den literarischen Elementen der Matinee „Viel kann vermeiden Vernunft” im Großen Haus des Theaters Aachen fand sich die Quintessenz dessen, was die Zeit im Deutschland zwischen 1933 und 1945 für viele Menschen zur Hölle auf Erden gemacht hat.

Doch in der Musik der Klezmer-Gruppe „Dance Of Joy” fand das geschriebene Wort bei der Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes einen zumindest ebenbürtigen Gegenpol. Trauer, Schmerz und alles andere, was sich jedweder Sprache entzieht - das alles sprach aus den Klängen.

Denn wovon der Mensch nicht reden kann, darüber muss er nicht unbedingt schweigen. Gerade wegen der Wichtigkeit des Anliegens betrüblich: Allzu viele Zuhörer waren den Gastgebern nicht beschieden.

Doch die Lesung, die zugleich ein Konzert war, wurde ganz von selbst zum Zeugnis der Energie und Lebenskraft der Kunst, die kein Diktator und kein Massenmörder zum Schweigen zwingen kann.

Für den von dem stellvertretenden Chefredakteur unserer Zeitung, Bernd Büttgens, gelesenen Briefwechsel aus Kriegszeiten zwischen Hans Kube und seiner Frau Marie gilt das in besonderem Maß.

Die vom Sohn Johannes Kube, dem Ausländerreferenten der Evangelischen Studentengemeinde Aachen, herausgegebene Korrespondenz sprach deswegen zum Herzen der Zuhörer, weil in ihr Menschen auf derselben Wellenlänge kommunizieren.

Wenn sie sich in einem Schicksal widerspiegelt, verliert der Lauf der Weltgeschichte an Abstraktheit. Darum berühren Texte wie die Briefe der Kubes, die inzwischen auch in einer Anthologie erschienen sind, so stark.

Das gilt natürlich, obwohl sich ihre Beiträge auf einer anderen Ebene bewegten, für die von Waltraud Schink und Generalintendant Paul Esterhazy vorgetragenen Texte.

Unter anderem hatte die Schauspielerin aus einer Studentenzeitung von 1966 einen in den 20er Jahren entstandenen Text von Walter Hasenclever mit dem Titel „Die Statue” ausgesucht, der gerade durch die expressionistische Überzeichnung eines Soldaten ohne Augen das Schicksal eines vom Krieg gezeichneten und zerstörten Menschen auf den Punkt bringt.

Esterhazy hatte sich in Vortragsstil wie Textauswahl für ein gewisses Understatement entschieden. Dennoch erwiesen sich die von Saul K. Padover in seinem Buch „Lügendetektor” zusammengestellten Schilderungen seiner Erlebnisse als US-Verhöroffizier im gerade befreiten Deutschland als punktgenau - eben weil Padover jedes Detail, jede Reaktion, jede Schilderung ganz genau und ohne Mätzchen schildert.

Die Lehrerin in Roetgen, die ganz unpolitisch gewesen sein will und sich doch bei genauer Befragung als Transmissionsriemen der Nazi-Partei herausstellt, der Bischof, dessen Weltbild tote Winkel größeren Ausmaßes enthält - sie sprechen uns heute noch an.

Denn mag auch das Kriegsende noch so lange vorbei sein - gerade weil, so Vorsitzender Otmar Steinbicker vom Verein Aachener Friedenspreis in seiner Begrüßungsrede, sich heute wieder nazistische Parteien mit Macht bemerkbar machten, gingen die Erfahrungen und handelnden Personen der Geschichte auch die Heutigen noch etwas an.