Aachen/Berlin : Beethoven und Mozart auf dem Smartphone
Aachen/Berlin Berühmte Orchester wie die Wiener Philharmoniker und das Philharmonia Orchestra London wollen über eine neue Plattform ihre eigenen Konzerte als Streaming-Angebot im Internet verbreiten. Mit „Idagio“ sollen die Musiker weltweit ganz neues Publikum erreichen können, erklärte das Startup-Unternehmen jetzt in Berlin.
Idagio-Gründer ist der Aachener Till Janczukowicz, Jahrgang 1967, im Klassikbereich einer der einflussreichsten Musikmanager der Welt. Wir sprachen mit ihm über die Plattform Idagio, die auf mehrfache Weise Wurzeln in Aachen hat, und allgemein über Veränderungen auf dem Klassikmarkt.
Herr Janczukowicz, das letzte Mal tauchte Ihr Name vor zehn Jahren in unserer Zeitung auf, da hatten Sie 2005 für Papst Benedikt in Rom ein Konzert mit den Münchner Philharmonikern und den Regensburger Domspatzen organisiert. Seitdem hat sich viel getan. Sie sind ein Tausendsassa in der Klassikbranche — da würden Sie sicher nicht widersprechen?
Janczukowicz: Mein Beruf ist die permanente Suche danach, klassische Musik relevant zu halten, sie tiefer im Lebensalltag der Menschen zu verwurzeln. Das ist vielfältig, manchmal entstehen spektakuläre Events, häufig entsteht Stilles, aber nicht minder Intensives.
Damals waren Sie Manager unter anderem von Marcus Bosch und Christian Thielemann?
Janczukowicz: Ja, da leitete ich die europäische Niederlassung von Columbia Artists, die ich 2000 gegründet hatte. Ab 2008 gab es dann einen fließenden Übergang, als ich für die Regierung der Emirate die Abu Dhabi Classics gründete. Das war von 2008 bis 2011. Aber Idagio spukte damals schon in meinem Kopf herum.
Existieren die Classics in Abu Dhabi noch?
Janczukowicz:Ja, ich hätte als Intendant und künstlerischer Leiter der Konzertreihe weitermachen können, aber dazu hätte ich nach Abu Dhabi ziehen müssen, und das wollte ich nicht. Mich reizt es, Neues aus dem Nichts aufzubauen. Über drei Jahre haben wir großartige Konzerte mit den Wiener und Berliner Philharmonikern, mit New York Philharmonic, Lang Lang etc. veranstaltet. Spannend: Wir haben jedes Orchester dazu verdonnert, Young People’s Concerts, also Jugendkonzerte, zu spielen. In der ersten Saison haben wir mit vier Schulen und Universitäten begonnen, in der letzten Saison waren es 40, und wir mussten die Karten zuteilen. Fazit: Klassik funktioniert. Man muss nur die Zugangswege richtig managen, und die Kraft der Musik tut den Rest. Jetzt wollen wir das mit Idagio in die digitale Welt übersetzen.
Wie entstand die Idee zum Idagio-Projekt?
Janczukowicz: Die Vision hat sich im Laufe der Jahre mosaikartig entwickelt. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren sagte Russell Grandinetti, hinter Jeff Bezos wohl der zweite Mann bei Amazon und auch für Kindle verantwortlich, anlässlich der Buchmesse in Frankfurt: „Die einzigen Player, die man heute im Buchmarkt noch braucht, sind die Autoren und die Leser. Alle dazwischen sind überflüssig oder sehen sich immensen Herausforderungen gegenüber.“ Meine spontane Erkenntnis: Ich weiß zwar nicht, inwieweit das für den Buchmarkt wirklich so zutrifft, aber ich weiß sicher, dass es für den Klassikmarkt stimmt.
Wie meinen Sie das?
Janczukowicz: Jedes Orchester, jedes Opernhaus ist für sich eine Marke und hat Abonnenten, Freunde, Besucher. Das ist ein System von kleinen und großen Communities. Und alle stehen vor der selben Herausforderung: existierende Hörer nachhaltig binden und neue — die junge Generation — erreichen zu müssen, oder, in anderem Sprachduktus, Bestandskundenpflege und Neukunden-Akquise für ein ewig gültiges globales Produkt, das gleichzeitig Kulturgut ist. Spätestens in Abu Dhabi habe ich gelernt, dass jeder Mensch, auch wenn er keinerlei Ahnung von Klassik hat, nur richtig mit ihr in Kontakt kommen muss — und der Rest ergibt sich von selbst. Die Musik an sich ist stark. Schwach sind höchstens die von uns organisierten Zugangswege, wenn wir sie nicht flexibel an die rapide sich wandelnden Kommunikations- und Konsumgewohnheiten anpassen.
Was läuft falsch?
Janczukowicz: Man muss sich doch mal eines überlegen: Wir sind als Kulturschaffende in der Entertainment-Branche. Punkt. Und das Entertainment-Format eines Sinfoniekonzerts, das um 20 Uhr beginnt, das stammt aus dem vorletzten Jahrhundert. Wir machen uns zu wenig Gedanken darüber, dass sich die Zeitbudgets von Menschen permanent ändern, dass sich die Kommunikationswege ändern. Wir müssen präsent sein, wo heute kommuniziert wird. Und das geht heute in erster Linie über die mobilen Devices, über Smartphones. Wir zählen momentan 1,7 Milliarden Smartphone-Nutzer auf dem Planeten, und man geht davon aus, dass es 2020 fünf Milliarden sind. So, was heißt das jetzt? Alles, was in diesen kleinen viereckigen Fenstern, die wir permanent am Körper tragen, nicht vorkommt, verliert an Relevanz. Das ist doch im Journalismus das gleiche Problem.
Wie sieht die Lösung bei Idagio aus?
Janczukowicz: Lassen sich mich dazu etwas zur Geschichte von Idagio erzählen: Eigentlich kann man Idagio als Aachener Projekt bezeichnen, weil nämlich drei weitere Aachener involviert sind — ganz maßgeblich Stefan Fritz, er ist Geschäftsführer und Gründer von synaix in Aachen. Das Unternehmen hat etwa 100 Mitarbeiter, sitzt in Süsterfeld und ist einer der größten IT-Dienstleiter in Aachen. Stefan ist ein unglaublich kreativer Kopf, Spezialist für digitale Plattformen. Genau genommen ist es sogar ein KKG-Projekt. Stefan und ich sind alte Schulfreunde, waren auf der derselben Schule, dem Kaiser-Karls-Gymnasium in Aachen, sogar in der gleichen Klasse. 2011 habe ich ihn angerufen: Stefan, wir müssen uns treffen, ich habe da eine Idee. Ich komme aus der Klassik, du aus der digitalen Welt, wir müssen Klassik und die digitale Welt zusammenbringen. Stefan war sofort begeistert und bringt seitdem seine Erfahrungen im Aufbau von digitalen Plattformen und Geschäftsmodellen mit ein. So ist die Zusammenarbeit entstanden. Und wir brauchten ein drittes Kompetenzfeld, die Kommunikation. Und da kam ein weiterer ehemaliger KKG-Schüler dazu: Fabian Frese. Er gehört zur Weltspitze der Top-Kreativen und ist Geschäftsführer von Kolle Rebbe in Hamburg, einer der wichtigsten deutschen Werbeagenturen. Dann war ein weiterer KKGer dabei, Frieder Löhrer, damals Geschäftsführer von Loewe. Ich hatte früh erkannt, dass wir verschiedene Kompetenzfelder im Sinne einer Vision vereinigen müssen, und so hat sich ein Pool von Leuten gebildet, eine Art Think Tank. Sukzessiv wuchs daraus ein Startup, das seit kurzem mit Macquarie Capital aus Australien und b-to-v, dem führenden Zusammenschluss investierender Europäischer Unternehmer, über erstklassige internationale Investoren verfügt.
Wie funktioniert das bei Idagio?
Janczukowicz: Es gibt im Moment eine iOS-App, also erst mal nur für Apple. Wir haben in den letzten Jahren 25.000 Stunden Musik editiert und digitalisiert — das ist quasi die Grundlage, unser Back-Katalog, der weltweit — zunächst ohne USA und Kanada — on demand verfügbar gemacht wird. Im Herbst kommt die Web-Plattform dazu und nächstes Jahr auch die Android-Plattform.
Per Gebühr kann man Klassikkonzerte abrufen?
Janczukowicz: Idagio wird ein Freemium-Modell, das bedeutet, der Kern ist gratis. Für diejenigen, die mehr wollen, etwa Offline-Funktionalität im Flugzeug oder im Zug, werbefreies Hören oder ein besseres Soundpaket, der zahlt 4,99 Euro pro Monat.