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Aachen: Auftakt zum Jubiläumsjahr mit der Matthäus-Passion

Aachen : Auftakt zum Jubiläumsjahr mit der Matthäus-Passion

Es gibt viele Werke von Johann Sebastian Bach, die ein beredtes Zeugnis der Genialität des Thomaskantors sind. Kaum eines kann es aber mit der Komplexität und Dichte der Matthäus-Passion aufnehmen.

Insgesamt fünf Passionsvertonungen hat Bach, da ist sich die Musikwissenschaft sicher, geschrieben — eine nach jedem Evangelisten. Der Leidensgeschichte nach Matthäus hat er sich zwei Mal gewidmet. Vollständig erhalten sind nur zwei. Jene nach dem Evangelisten Johannes und eben das BWV 244, das im Hause Bach nur schlicht „die große Passion“ genannt wurde. Ein Werk also, das bestens geeignet ist, ein Jubiläumsjahr, wie es der Aachener Bachverein in 2013 feiern kann, zu eröffnen.

Ausverkauftes Konzert

Vor ausverkauftem Haus ließ der 1913 gegründete Chor das umfangreichste Werk seines Namenspatrons in der Michaelskirche in der Jesuitenstraße erklingen. Im Eingangschor unterstützen ihn die Knaben des Aachener Domchores. Für den Instrumentalpart stand das Aachener Bachorchester zur Verfügung. Die Gesamtverantwortung der Interpretation lag in den Händen von Georg Hage.

Freunde der sogenannten historisch informierten Aufführungspraxis mochten vielleicht einen kleinen Schrecken bekommen haben, als sich die rund 120 Choristen hinter dem Orchester aufstellten. Diese Kulisse erinnerte an jene Aufführungen, mit denen etwa Karl Richter vor vielen Jahrzehnten romantisch verbrämt und weit von unserem heutigen Bachverständnis Musikgeschichte geschrieben hat. Aber Sorgen in dieser Richtung waren unbegründet und schon nach wenigen Takten weggeblasen.

Überaus schlank und durchsichtig erklang mit „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“ die Eröffnung, die dreischichtig mit Doppelchor und Ripienochor (Domknaben) zum Miterleben der Passionsgeschichte einlud. Diese Transparenz sollte sich durch die gesamte Aufführung hindurch erhalten. Der Chor folgte den Vorstellungen Hages, dessen Dirigat sich durch erfreuliche Nüchternheit und Klarheit auszeichnete, mit beeindruckender Präzision. Egal, ob es die Choräle oder die komplexen Fugengebilde waren; Hage führte seine Mitstreiter mit sicherer Hand und diese ließen sich führen.

Ein wenig anders sah das Ganze leider bei den Solisten aus. Ohne jeden Zweifel herausragend präsentierte sich der Tenor Florian Cramer, der nicht nur die Evangelistenrolle übernommen hatte, sondern auch für die Tenorarien zuständig war. Er glänzte mit klarem Ton und konnte auf ganzer Linie überzeugen. Seine Auffassung war restlos glaubwürdig. Mit der Altistin Marion Eckstein hatte Hage einen weiteren Glücksgriff getan.

Kraftvoll und doch weich, in den Tiefen, fast möchte man sagen profund und in den Höhen strahlend, meisterte sie ihre Aufgabe. Der Einführungstext im Programmheft war überschrieben mit „Das gehet meiner Seele nah.“ Die Arie „Erbarme dich, mein Gott“ wurde durch Eckstein mehr als manches Andere dieser Überschrift gerecht. Für die Bassarien hatte Gade Manfred Bittner verpflichtet, der mit satten Tiefen aufwarten konnte, an manchen Stellen aber der schlanken Leichtigkeit nicht gerecht wurde.

Probleme bei Solisten

Nicht überzeugen konnte die So-pranistin Silke Schwarz. Ihre vibratoschwangere Stimme war zu klein und nur selten konnte sie den Glanz ihrer Höhen nutzen. Gleich in mehrfacher Hinsicht musste man Rafael Bruck, der die Christuspartie übernommen hatte, als Fehlbesetzung ansehen. Er legte viel zu viel Gewicht auf jede einzelne Note, auf jedes einzelne Wort und ließ die Grundsätze des barocken Affektes außer Acht. Sein romantisch geprägtes Bühnenvibrato machte die Verständlichkeit seiner Partie nicht leicht. Ein Umstand, der noch dadurch verstärkt wurde, dass er als Bariton in den von Bach geforderten Tiefen kaum etwas aufzubieten hatte. Respekt musste man den verschiedenen Solisten aus dem Chor zollen, die die Rollen etwa der Magd oder der falschen Zeugen übernommen hatten.

Respektabel, aber nicht wirklich überzeugend war die Leistung des Bachorchesters. Zu oft ließ die Intonation, insbesondere in der Continuogruppe, Wünsche offen. Bei den Holzbläsern wurde sehr deutlich erkennbar, um wie viel schwieriger das musizieren mit historischem Instrumentarium gegenüber modernen Instrumenten ist. Der Klang von Oboe d’amore, Oboe da caccia und Fagott war nicht immer ein Genuss. Trotzdem: Es war ein gelungener Start in das Jubiläumsjahr des Bachvereins, und es war, was für manchen Konzertbesucher vielleicht auch wichtig gewesen sein mag, ein würdiges Begehen des Karfreitags. Zwei weitere Jubiläumskonzerte folgen.