Heinsberg : Aufgewachsen im Urwald unter Menschenfressern
Heinsberg Zweieinhalb Monate nur benötigte Sabine Kuegler, um ihr Buch „Dschungelkind” zu schreiben, das ganz aktuell auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste steht und bisher bereits sehr viel Aufmerksamkeit erregte.
In der Buchhandlung Gollenstede in Heinsberg zog sie rund 75 Minuten lang mit der Geschichte ihrer ungewöhnlichen Kindheit im Dschungel von Westpapua erneut einen großen Zuhörerkreis in ihren Bann.
Das Buch blieb zugeklappt auf dem Tisch. Sabine Kuegler erzählte, untermalt von Bildern, und nahm ihr Publikum mit auf eine Reise in ihre Vergangenheit, die sie auf diese Weise zu bewältigen sucht.
„Als ich zu schreiben begann, war alles wieder da, wie ein Film lief es vor meinen Augen ab”, schildert sie ihre eigenen Empfindungen des letzten Sommers.
„Ich kann nur jedem raten, der etwas Ungewöhnliches erlebt hat, es aufzuschreiben, um es besser zu verstehen und damit auch sich selbst”, so ihr Fazit.
In jeder Hinsicht hat Sabine Kuegler, die 1972 in Nepal geboren wurde, eine ungewöhnliche Kindheit erlebt. Fünf Jahre war sie alt, als sie mit ihren Eltern, Missionare und Sprachforscher, zum Stamm der Fayu in den Dschungel von Westpapua/Neu Guinea kam.
Diese hatten bis dahin noch nie einen Weißen zu Gesicht bekommen. Rache und damit Kriege bestimmten deren Leben. „Ich habe es zwar nie selbst erlebt, jedoch galt ein Stamm sogar als Menschenfresser”, erzählt Sabine Kuegler.
„Nur langsam begriffen die Fayu mit Hilfe meines Vaters, dass es auch andere Möglichkeiten gab, Meinungsverschiedenheiten und Streitereien auszutragen, und dass nicht jeder ein Feind war, der eine andere Meinung hatte”, berichtet sie über einen sehr langsamen Prozess der Veränderung, der sich auch in den mitgebrachten Bildern widerspiegelt.
Hier sieht man zunächst nur grimmige Gesichter, die später sogar das Lachen gelernt haben. Sabine Kuegler fand Freunde unter den Kindern der Fayu und lernte so auch die sehr unterschiedlichen Welten der Männer und Frauen der Fayu kennen. Sie lernte, mit der Natur zu leben und auf ihre Zeichen zu achten.
Mit 17 Jahren kam sie zurück nach Europa, besuchte ein Schweizer Internat und machte ihre Ausbildung. Unausbleiblich, der Kulturschock, wie sie heute weiß, auf den sie überhaupt nicht vorbereitet war. „Ich kannte weder Michael Jackson noch Boris Becker und wusste nicht, wie man eine Straße überquert”, erläutert sie an einigen Beispielen.
Sabine Kuegler heiratete früh, lebt heute in Buxtehude in Schleswig-Holstein und ist Mutter von vier Kindern. „Ich war Anfang 30, als ich erkannte, ich muss etwas tun, ich muss anfangen zu leben, und ich muss zurück, um noch einmal alles zu sehen, denn ein Teil von mir ist in Europa und ein anderer Teil in Westpapua”, hat sie für sich selbst erkannt.
Gerne würde sie ihren Kindern einmal den Dschungel zeigen und hätte sie dort gerne aufgezogen. Doch die Frage ihrer 13 jährigen Tochter „Gibt es dort auch Internet?” zeigt wohl am deutlichsten den Kontrast.