Düsseldorf : Alles belanglos in der Schwebe
Düsseldorf Klein steht die Warnung im Programm: „Zauberbetreuung Wittus Witt”. Wenn ein Theater die Produktion magischer Momente in die Hände eines Zauberers legen muss, hat es seine eigenen Stärken dann schon verspielt?
Symptomatisch ist dieser Eintrag für die Düsseldorfer „Kirschgarten”-Inszenierung von Anna Badora. Tschechows letztem Stück kann die Schauspielhaus-Intendantin keinen Theaterzauber entlocken. Nur ein paar Zaubertricks ringen dem Publikum Szenenapplaus ab.
Wie eine Alleinunterhalterin präsentiert die Gouvernante Charlotta ihre Kunststückchen vor der Gesellschaft auf dem russischen Landgut. Doch im Grunde unterhält sich dort jeder nur mit sich selbst, verliert sich in dem fast leeren Raum zwischen ein paar Kindermöbeln.
Bühnenbildner Johannes Schütz schnitt in die grauen Wände links und rechts je zwei Türöffnungen und in die Rückwand ein großes Fenster, in die Mitte spannte er einen hohen Kubus aus Schnüren und recycelte damit das Bühnenbild seiner Berliner „Virginia Woolf”. Quadratisch, billig, tot. Das ist so abstrakt, hat so wenig Ambiente, da passt praktischerweise fast jedes Stück hinein.
Wenig Ambiente
Aber so ist der Kirschgarten immerhin kein Kitschgarten. Er existiert ja gar nicht. Als die Gardine gelüftet wird, ist dahinter keine blühende Landschaft zu erkennen, sondern ein graues Nichts. Grau wie das Leben der Figuren. Und insofern ist diese Szenerie sogar treffend. Der Kirschgarten ist eine Illusion, jeder projiziert etwas anderes hinein.
Ranjewskaja und ihr Bruder Gajew, die verschuldeten Gutsbesitzer, sehen den Hort ihrer früheren Tage, und daher benehmen sie sich wohl auch ein bisschen wie im Kindergarten. Lopachin, der Aufsteiger, der den Garten kaufen wird, ahnt die Geldquelle, und der Student Trofimow erinnert sich an den Arbeitsplatz der ehemaligen Leibeigenen.
Tschechow zeigt eine Zeitenwende im 19. Jahrhundert, eine Gesellschaft im Umbruch. Aber was ist in dieser Inszenierung das Alte, von dem die Menschen Abschied nehmen müssen, was das Neue, das sie erwartet?
Badora lässt alles belanglos in der Schwebe. Mögliche Vorgeschichten sind nicht spürbar, Beziehungen werden kaum erspielt, Charaktere nicht gezeichnet, sondern mit einem Kostüm, Requisit oder Tick - ob Riesenbrille oder Zungenfehler - ins denunzierende Rollen-Korsett gezwängt. Lopachin (Matthias Leja) etwa trägt seine bäuerliche Herkunft in den weißen Socken unterm grauen Anzug, und Constanze Becker zeigt als Adoptivtochter Warja das Unbehagen im eigenen Körper vor allem, weil sie in rosa Caprihose, hautfarbenen Nylonstrümpfen und Turnschuhen besonders burschikos dahertrampeln muss.
„Der Kirschgarten” braucht ja nicht als bitter-melancholischer Abgesang in Szene gesetzt zu werden, die „Komödie” birgt auch den herzzerreißend-komischen Untergang.
Aber auch dann sollte man die Figuren ernst nehmen. Sonst wird es nämlich auch nicht komisch. Dieser fahle, fahrige Abend ohne Pause findet selten ein Timing, kaum Musikalität. Ab und zu wird ein Song von Westernhagen oder den Ärzten angestimmt, doch ohne Stimmungen jenseits der Lächerlichkeit zu erzeugen.
Vielleicht wollte Badora mit diesen kleinen Menschlein und ihren besonders kleinen Stimmchen im riesigen Durchgangszimmer so was wie Einsamkeit verdeutlichen, vielleicht wähnt sie sich darin gar besonders nah bei Tschechow. Aber wohl kaum beim Zuschauer.