Eschweiler : Albert Sous kreiert Fantasien aus Schrott, Stein und Scherben
Eschweiler Als Albert Sous vor knapp 40 Jahren in seinem heimischen Garten in Würselen eine Grube ausheben lässt für ein privates Schwimmbad, da tauchen im Boden eigentümliche Tonscherben auf, die sogleich die Archäologen auf den Plan rufen.
Die Experten stellen fest: Es handelt sich um Pingsdorfer Krüge, eine besondere rheinische Spielart der Keramik, entstanden zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert. Das energieverschlingende Badebecken ist heute längst überdeckt von einem Ausstellungsraum — 1976 war einfach die Zeit noch nicht so richtig reif für ökologische Erwägungen und Vorbehalte.
Aber die Pingsdorfer Krüge, mit Engelsgeduld wieder zusammengefügt, die sind geblieben und fast so etwas wie Heiligtümer im Haus des Würselener Künstlers — neben Fundstücken aus aller Welt. Hunderten. Mindestens! Gesammelt in fünfzig Jahren. Und der Übergang zwischen Fundstück und Kunstwerk ist dabei durchaus fließend.
„Albert Sous — Finderlohn. Gefunden, gesammelt und gemacht.“ heißt eine Ausstellung im Eschweiler Kunstverein, die all das jetzt in beeindruckender Fülle und Vielfalt vor Augen führt. Und entstanden ist dabei zugleich fast so etwas wie eine Retrospektive des Edelmetallers, Bildhauers, Goldschmieds — und manischen Sammlers.
Irgendwann musste es mal sein: den Keller aufzuräumen, klar Schiff zu machen, vielleicht damit einhergehend auch ein bisschen im Kopf. Zumal kurz vor dem 80. Geburtstag im April dieses Jahres. „Das passte“, sagt Sous lächelnd. Und sein Blick fällt auf einen wohlgeformten Brocken Kohle, den er mit all den anderen Fund- und Erinnerungsstücken wieder ans Tageslicht geholt hat. „Der ist aus der Grube Emil Mayrisch.“ Siersdorf. Und es klingt wie aus tiefstem Herzen: „So was kann man doch nicht liegen lassen.“
Schon gar nicht all die Faustkeile und steinzeitlichen Werkzeuge aus der Region oder der Gegend um Limoges, die roten und grünen Steine aus der Ägäis, den Granit, der aussieht wie ein Hund, die taubenförmige Muschel, erst recht nicht die kleine römische Glasamphore, die antike Öllampe. „Die habe ich gefunden, als vor 20 Jahren hier in der Gegend eine Gaspipeline verlegt wurde.“ Ebenso eiserner Schmuck. Versteinerungen aller Art, Schnecken, Holz, gefunden in der Vulkaneifel oder in französischen Breiten, gebrochener Lapislazuli, Kiesel aus Ägypten — für Albert Sous sind das alles Kunstwerke der Natur und erhaltenswerte Dokumente ihres Reichtums.
Neu geordnet, wohlsortiert und präsentiert wie die Schätze eines Archäologen — auf einem alten Werkstattregal aus Eisen, das selbst wieder ein Fundstück ist. Denn nicht nur in der Natur hat der Künstler mit dem sicheren Blick für das Besondere im Alltäglichen immer wieder zugegriffen, um es aufzubewahren und zu erhalten, auch und gerade auf dem Schrottplatz und in der Industrie fand er regelrechte, fertige Skulpturen — Albert Sous brauchte sie nur noch aufzustellen. Oder einfach einen Sockel drunterzusetzen.
„Adam und Eva“ zum Beispiel — ein Paar formvollendeter, überlebensgroßer, bis aufs Wesentliche abstrahierter Figuren: „Die lagen auf einem Riesenberg von Schrott ganz obenauf.“ Sous‘ perfektem Blick für skulpturale Qualitäten konnten auch sie unmöglich entgehen: Rohre aus zentimeterstarkem Stahl, die in einem Eschweiler Röhrenwerk in einem hochkomplizierten Herstellungsprozess schlicht und ergreifend verunglückt waren. Rohre, die unter der Einwirkung unglaublicher Kräfte „verknüllt“ wurden.
„Das Material ist in dem Prozess so weich wie gekochte Nudeln“, erzählt der Künstler, dem es nur noch vorbehalten ist, dieses im Moment des Unglücks entstandene Kunstwerk in all dem Schrott zu entdecken, auf den Sockel zu heben und bisweilen mit Blattgold zu veredeln oder einfach nur zu wachsen. „Ich bin jetzt 80“, sagt Sous, „was soll ich da noch selbst Edelstahl zusammenschweißen?“ Die Zeiten sind vorbei. Und die „Ready-mades“ und „Objet trouvés“, die er gefunden hat, sprechen bereits für sich eine künstlerische Sprache. Grün-rostige, quadratische Bleche zum Beispiel, wie Gemälde an die Wand gehangen — schöner kann man abstrakt auch nicht besser malen.
Bisweilen montiert Sous stählerne Fundstücke zu Objekten, in denen sein Publikum Architekturen von Le Corbusier entdeckt oder Madonnen. Die künstlerische Philosophie des gebürtigen Stolbergers bleibt sich bei all dem stets treu: Er schafft eine fabelhafte Welt der Fantasie — manchmal nur durch treffsicheres Hinsehen auf scheinbar Unscheinbares.
Und damit unterscheidet er sich grundsätzlich von dem Vater all dieser „Ready-mades“ genannten Objekte: Marcel Duchamp. Dessen Auswahl des Urinals „Fountain“ von 1917 für eine Kunstausstellung war im Prinzip rein beliebig, es hätte auch eine Klobürste sein können. Für Albert Sous keine Option — es sei denn, ein solch besonderes Stück hätte tatsächlich skulpturale Qualität.