Aachen : Kinderuni: Wann hatte Jesus Geburtstag?
Aachen Die Tage bis zum 24. Dezember zählt Simone Paganini (45) nicht. Er öffnet auch keine Törchen im Adventskalender. „Wir lesen an der Uni bis zum 22. Dezember, da bleibt keine Zeit für eine ruhige Vorweihnachtszeit“, sagt der Professor für Biblische Theologie an der RWTH Aachen im Interview vor der Kinderuni, einer Veranstaltung der RWTH und unserer Zeitung.
Die Zeit für die Teilnehmer der Kinderuni hat er sich am Freitag aber gerne genommen und Fragen zum Adventskalender, zum mutmaßlichen Geburtstag von Jesus und zum Weihnachtsfest beantwortet.
Zählen Sie die Tage bis Weihnachten, Herr Professor Paganini?
Paganini: Ich nicht, aber dafür meine Kinder. Die haben ihre Adventskalender schon im November gekauft. Es ist schön, dass es die Kinder gibt, die uns immer wieder daran erinnern, Pausen zu machen in dieser Zeit. Das sind Rituale in der Familie.
Gehört Plätzchenbacken auch zu den Ritualen in Ihrer Familie?
Paganini: Ich bin leider wenig daheim, darum hängt alles, was mit Weihnachtsvorbereitung zu tun hat, an meiner Frau. Wir stellen einen Weihnachtsbaum auf und eine Krippe. Wir kaufen unsere Adventskalender und sind ansonsten auch Opfer des Konsumwahns.
Aber der Adventskalender hat nicht nur mit Konsum zu tun.
Paganini: Die Idee mit den Süßigkeiten und Geschenken im Kalender ist relativ neu, das hat mit unserer Konsumgesellschaft zu tun. Aber dass es Zeiten gibt, wo sich Menschen auf wichtige Feste vorbereiten, das ist ein uralter Brauch. Etwa die Wochen vor Ostern, da gab es schon immer eine liturgische Vorbereitung. Diese Zeiten gibt es auch bei den Griechen und Römern.
Hat das Jesuskind denn wirklich Geburtstag, wenn das 24. Türchen geöffnet ist?
Paganini: Nein.
Wann hat das Jesuskind denn dann Geburtstag?
Paganini: Das weiß man nicht. Die antiken Quellen sagen uns gar nichts darüber. Wir haben die Evangelien, aber es fehlt eine zweite Quelle. Denn um historischen Fakten zu belegen, braucht immer mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen, und die haben wir im Falle der Geburt Jesu nicht — die zwei Quellen haben wir nur für seinen Tod..
Und wie kommt es, dass man am 24. Dezember seinen Geburtstag feiert?
Paganini: In den ersten 100 bis 150 Jahren nach seiner Geburt spielte der Tag gar keine Rolle. Es interessierte niemanden. Erst später kamen Leute, die mehr wissen wollten und so entstanden die ersten Biografien über Jesus. Es sind aber keine historischen Biografien. Sie haben zwar einen historischen Kern, aber sie sind grundsätzlich Erzählungen von Menschen, die sich ausgedacht haben, was Jesus getan haben könnte. Sie stützten sich dabei auf schriftliche Sammlungen von Worten, die Jesus gesagt hat. Sie sind so ungefähr wie historische Romane.
Also haben diese Autoren den 24. Dezember erfunden als Geburtstag?
Paganini: Jein, In den Evangelien wird nirgends gesagt, dass Jesus am 24. Dezember geboren wurde. Wir kennen eigentlich nicht einmal das Jahr, in dem Jesus geboren ist. Die Angaben in den Evangelien sind leider ungenau. Sicher nicht im Jahr 0. Aber irgendwann wollten die Gläubigen wissen, wann Jesus geboren wurde, da musste man einen glaubwürdigen Geburtstag erfinden. Das ist aber eine Frage, die erst 200 Jahre nach der Geburt Jesu wirklich relevant wird.
Warum ist der 24. Dezember ein glaubwürdiger Geburtstag für Jesus?
Paganini: Dass es der 24. Dezember geworden ist, das hat unterschiedliche Begründungen. Wenn eine Religion entsteht, versucht man Zeit und Ort von der Religion, die davor war, zu übernehmen. Der 24. Dezember hat mit der Sonnenwende zu tun, wahrscheinlich mit dem Mithras-Kult aus dem Orient. An eben dem Tag feierten die Römer das Sommerwendenfest. Und so steht Jesus da als Sonne, die an dem Tag geboren ist.
Gibt es noch eine andere Erklärung für den Geburtstag im Winter?
Paganini: Weniger romantisch ist die touristenfreundliche Erklärung. Im dritten und vierten Jahrhundert begannen Pilgerfahrten ins Heilige Land. Da kamen die Leute aus ganz Europa, um an den historischen Orten die wichtigen Feste des Christentums zu feiern. Zum Beispiel Ostern, das Fest der Auferstehung, und Weihnachten, das Fest der Geburt. Es ist wahrscheinlich, dass Jesus gar nicht im Winter, sondern im Frühjahr geboren wurde. Aber weil man nicht zwei wichtige Feste direkt hintereinander feiern wollte, hat man sich für den 24. Dezember entschieden. So konnte man mehr Touristen anlocken — im Winter und im Frühling.
Weihnachten feiern nicht nur die rund zwei Milliarden Christen. Warum feiern Menschen ohne christlichen Hintergrund mit?
Paganini: Ich kenne muslimische Familien, die Weihnachten feiern. Sie erkennen die Figur Jesu als Prophet an. Christen gibt es überall auf der Welt, da wird unabhängig von der Region Weihnachten gefeiert. Und ich kenne auch Atheisten, die feiern Weihnachten, auch wenn sie nicht gläubig sind. Einerseits ist es das wirtschaftliche Fest, andererseits braucht der Mensch Rituale und Zeiten, wo er mal Pause macht. Das ist religionsunabhängig.
Wenn Sie nicht gerade in der Kinderuni Fragen rund um Weihnachten beantworten, woran forschen Sie als Bibelwissenschaftler?
Paganini: Ein Bibelwissenschaftler arbeitet mit antiken Quellen, ein bisschen wie ein Historiker, ein bisschen wie ein Literaturwissenschaftler. Er schaut, wie man die Quelle literarisch verstehen kann. Als Professor halte ich Vorlesungen und gebe Seminare. Und seit ein paar Jahren entwickele ich Lernvideos und Computerspiele für die Studierenden.
Worum geht es in Ihren Spielen?
Paganini: Es sind zum Beispiel Spiele, in denen die Studierenden etwas lernen über die Welt, in der antike Schriften entstanden sind. Die Studierenden bewegen sich als Figuren im ersten Jahrhundert nach Christus, sie begegnen den ersten Christen, sehen Schriftrollen und treffen Gestalten aus der Zeit, mit denen sie interagieren müssen. Weiter kommen sie im Spiel aber nur, wenn sie die Inhalte aus Vorlesung und Video kennen. Und so haben sie beim Spielen was gelernt…