1. Karlo Clever

Flüchtlingskinder: Plötzlich in einer deutschen Schule

Flüchtlingskinder : Plötzlich in einer deutschen Schule

Tausende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine bekommen schon Unterricht in Deutschland. Wie das gemacht wird, ist unterschiedlich geregelt. Hier berichten wir aus Berlin.

Was heißt „Punkt“ auf Russisch? Arberi Veselaj weiß das seit Kurzem. Die Lehrerin hat in den vergangenen Wochen schon einige russische Wörter von ihren neuen Schülerinnen und Schülern gelernt. Sie unterrichtet an einem Gymnasium in der Stadt Berlin. Seit Mitte März betreut sie dort 13 ukrainische Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren in einer Willkommensklasse. Neben Ukrainisch wird in der Ukraine auch Russisch gesprochen.

Die Schülerinnen und Schüler sind wegen des Krieges in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen, wie Hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer auch. Für Kinder und Jugendliche gibt es die Möglichkeit, hier zur Schule zu gehen. Das machen schon mehrere Zehntausend.

Wie der Unterricht genau aussieht, ist unterschiedlich geregelt. In vielen Schulen werden die Geflüchteten erst mal in bestimmten Fächern getrennt von den deutschen Schülern unterrichtet. Darüber hinaus lernen sie aber in einigen Fächern mit ihnen gemeinsam.

An der Schule von Arberi Veselaj sind das Sport und für vier Schüler auch Englisch. Nach den Ferien kommen Kunst und Mathe dazu. In der Willkommensklasse lernen die Schüler Musik, Englisch und Deutsch. „Deutsch lernen steht erst mal im Mittelpunkt“, sagt die Lehrerin. Denn das konnten am Anfang bis auf eine Ausnahme alle neuen Schüler nicht. Und Arberi Veselaj kann kein Ukrainisch und auch kein Russisch. Wie funktioniert da der Unterricht?

„Wir haben Symbole in der Klasse hängen, zum Beispiel ein Fragezeichen. Wenn jemand eine Frage stellen möchte, zeigt er darauf. So Sachen, die immer wieder kommen, können die Schüler jetzt schon.“ Kommt Arberi Veselaj mit Deutsch nicht weiter, wechselt sie zu Englisch. Diejenigen, die das können, übersetzen dann.

Ist der Krieg denn oft Thema? In der Schule eher weniger, sagt die Lehrerin. „Die Schüler verarbeiten zurzeit viele neue Eindrücke, leider auch schmerzliche, das wollen sie erst einmal nur mit ihrer Familie teilen. Ich bin da sehr vorsichtig und dränge sie nicht, weil ich weiß, dass es nicht einfach ist, darüber zu sprechen.“

Vor Kurzem hatte ein Schüler Geburtstag. „Er wollte aber nicht, dass wir für ihn singen, er konnte einfach nicht feiern, weil sein Vater noch in der Ukraine ist. Er war extrem schlecht drauf und wollte nicht darüber sprechen. Das ist auch in Ordnung. Wir wollen da keine Wunden aufreißen.“ Im Gegenteil, die Schule soll ein Ort sein, wo die Kinder und Jugendlichen Normalität erleben.

Das klappt auch ganz gut, sagt Arberi Veselaj. Die ukrainischen Schüler gehen zum Beispiel mit ihren deutschen Mitschülern in Grüppchen raus. „Ich erlebe sie oft auch fröhlich. Wir lachen auch viel gemeinsam im Unterricht, weil zum Beispiel lustige Fehler gemacht werden.“

So hat die Lehrerin auch erfahren, was Punkt auf Russisch heißt. Einer ihrer Schüler hat nämlich immer Sätze geschrieben, ohne zwischen ihnen einen Punkt zu machen. „Ich habe immer gesagt „Punkt, Punkt““, sagt Arberi Veselaj. „Als er das dann verstanden hat, hat er plötzlich gerufen: Ah, totschka, totschka!“

(dpa)