Leserbriefe zur Conti-Schließung: Kapitalismus, Irrglaube und Schwache

Leserbriefe zur Conti-Schließung : Kapitalismus, Irrglaube und Schwache

Dieses Thema erhitzt seit Wochen die Gemüter: Die Continental AG schließt das Aachener Reifenwerk nach über 89 Jahren. War die Schließung eine Ad-hoc-Entscheidung oder doch lange geplant? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigen sich unsere Leser.

Bernhard Amberg aus Würselen hat sich Gedanken zur Schließung des Reifenwerkes in Aachen gemacht:

Ich war bis zu meiner Verrentung 24 Jahre bei Conti im Werkschutz/Feuerwehr tätig und habe Sachen gehört ... Schon vor mehr als 30 Jahren sagte einer der Werksleiter: Die Hannoveraner hassen die Aachener, weil sie in allem besser sind als die aus Hannover. Die haben geschworen, das Aachener Werk auszulöschen, und wenn es 50 Jahre dauert; man sieht ja, dass diese Worte wahr werden. Erst kaufen sie Uniroyal auf, übernehmen das Wissen und das Können, dann lösen sie hier Versuch und Entwicklung auf und zwingen die Ingenieure quasi, nach Hannover zu ziehen etc.

Helmut Deutschle aus Aachen meint zum Aus:

Sind wir wirklich so naiv zu glauben, die Entscheidung der Werksschließung in Aa­chen sei eine Ad-hoc-Entscheidung gewesen? Hier gingen jahrelange geheimste Ge­heimentscheidungen voraus. Hut ab vor Vorstand und Aufsichtsrat. Alle haben dichtgehalten, bis alles in trockenen Tüchern war. Vorgespräche mit dem Ostblock: Was gebt ihr uns, wenn wir kommen? Prüfung der Umzugskosten durch die EU. Neue Ar­beitsplätze im Osten, das muss doch honoriert werden. Zuschüsse zu neuen und mo­derneren Produktionsmaschinen, die noch mehr leisten als die bisherigen.

Die Herren im feinen Zwirn haben das alles überprüft beziehungsweise überprüfen lassen, und als alles „rund“ war, wurde die Sache ans Tageslicht gezerrt. Schock für die 1800 Be­schäftigten. Aber was können die Arbeiter tun? Die einzige Möglichkeit ist, diesen Gewinnmaximierern in die Suppe zu spucken. Ab so­fort werden die Conti-Reifen nicht mehr gekauft. Neufahrzeuge werden per Kaufver­trag nicht mehr mit Conti-Reifen ausgerüstet. Die bevorstehende Umrüstung auf Win­terreifen erfolgt auf andere Fabrikate per Kaufvertrag.

Die Politiker geben sich ahnungslos – ob sie es auch sind? Zweifel sind angebracht. So ein großes Ding wirft einen riesigen Schatten, den unsere Politiker nicht gesehen ha­ben wollen? Zweifel sind angebracht ...

Ein gesundes und profitables Unternehmen an die Wand zu fahren, dazu gehören schon Arroganz und Dreistigkeit. Gesunde Betriebe innerhalb der EU auszulagern, müsste bestraft werden, aber dazu haben unsere Politiker weder Rückgrat noch abso­luten Willen. Man kann die derzeit noch Beschäftigten nur zum Boykott der eigenen Produkte auf­rufen und einen Zusammenschluss der großen Autohersteller versuchen. Das geht nur über die Politik. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Peter Altmaier – übernehmen Sie!

Gerd Bangel aus Baesweiler schreibt zum Interview „Innovativ, ausgelastet, profitabel“ mit Conti-Aufsichtsrat Francesco Grioli:

Herr Grioli spricht Klartext, es geht wie immer darum, die Profite hochzuschaukeln. Philips schon vergessen? Mitsubishi in Hoengen, Cinram etc. Der Werdegang ist immer der gleiche. Gelder einsacken, Leute rausschmeißen, mit EU-Aufbauhilfe ab zum nächsten Sklavenvolk. Wie bei Nokia Bochum nach Rumänien. Alles zum Wohle der Großindustrie, um ihre Produkte mit bis zu 60 Prozent mehr Gewinn (durch die Arbeitssklaven) an diejenigen zu verkaufen, denen sie Arbeit und Brot genommen haben. So leben die Reichsten von den Ärmsten, bis ihnen der schnöde Mammon aus den Ohren wächst. Der Continental-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle bittet nicht nur um Verständnis, sondern auch um Unterstützung. Mit anderen Worten: Er will noch Geld vom Steuerzahler.

Christa Borchard aus Wegberg reagiert auf den Kommentar „Beschämend“ von Stephan Mohne:

Klare Worte von Stephan Mohne. Hier wird dem Kapitalismus in Reinkultur, den Conti – offenbar nicht nur in Aachen – praktiziert und weiterhin praktizieren will, ein Spiegel vorgehalten, wie er deutlicher nicht sein kann. Der Verlust von Arbeitsplätzen, der sonst immer als Drohung bei Restriktionen schnell bei der Hand ist, wird bei dem Reifenhersteller zur Gewinnmaximierung nur zu gern in Kauf genommen. Im Ausland produziert es sich halt billiger – wen kümmern da noch die Arbeitnehmer, die jahrzehntelang für satte Gewinne sorgten. Und staatliche Hilfen zum Kurzarbeitergeld etc. kann man ja auch noch mitnehmen. Bittere Wahrheiten für die Conti-Mitarbeiter, die hilflos zurückbleiben und nur noch auf ein Donnerwetter aus der Politik hoffen können. Ob‘s kommt und ob‘s wirkt: sehr fraglich. Bleibt nur noch: Conti-Reifen boykottieren.

Georg Mertes aus Herzogenrath fragt: Wie „conti“ das passieren?

Man nehme zwei Handvoll Aufsichtsratsmitglieder, wirbele viel herum, mische etwas Respektlosigkeit und fehlende Weitsicht dazu und backe das im Reifenbau zu einem festen Kloß. Und wenn alles fertig ist, verteile man dies unter der Belegschaft, auf dass sie sich daran verschluckt. Eine alte Kochweisheit sagt aber: Ein Fisch stinkt zuerst am Kopf. Nicht, wer Fehlentscheidungen trifft, fliegt, sondern das schwächste Glied in der Kette. Zu hoffen ist, dass wenn (leider) alle Kündigungen ausgesprochen und wirksam sind, die Anzahl der Aufsichtsratsposten angepasst wird (natürlich mit reichlich Abfindung, da man ja seinen Lebensstandard erhalten muss – welche Krähe pickt der anderen schon ein Auge aus?).

Schade nur, dass dieser Personenkreis zig gut bezahlte Posten innehat, also keine Angst haben muss mal zu „harzen“. So ist das halt in der freien Marktwirtschaft, aber die Verbraucher (wir) sind da noch mit im Spiel. Müssen wir denn jetzt noch Reifen mit dem „C“ kaufen? Müssen wir denn die Produkte aus den Firmen der Aufsichtsräte kaufen? Müssen wir denn Autos bestellen mit bestimmten Reifen? Wir müssten da Solidarität zeigen, denn wer weiß, wohin die Welle weiterrollt.

Johannes Koch aus Eschweiler merkt zum „Seite Drei“-Text „Vor Schichtende gerät das Leben aus den Fugen“ an:

Thema des Berichtes ist die Auswirkung auf das individuelle Schicksal einer direkt davon betroffenen Arbeiterfamilie. Eine mitfühlend machend, gut geschriebene Stimmungswiedergabe. Aber: Was macht die Unternehmensleitung falsch? Fast gar nichts. Sie folgt der obersten Prämisse unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems, das nur eines kennt: Aus Geld mehr Geld machen, das heißt, den größtmöglichen Profit für ein Unternehmen zu machen. Und das tut sie doch! Profitmaximierung nimmt keine Rücksichte auf Gemeinwohl wie Ressourcenverbrauch, Umweltschäden, soziale Gerechtigkeit und vor allem nicht auf persönliche Schicksale ihrer eigenen „Human Ressources“. Und was machen die Betroffenen falsch: Sie sind in dem Irrglauben, so wirtschaftende Unternehmen hätten die oben genannten Rücksichten aus moralischen Gründen zu achten, und man könnte an ihr Gewissen appellieren. Daher ist das ganze Gerede von „Sozialpartnerschaft“, 90-Jahre-Werkstreue, etc. vergebliche Liebesmühe, so leid es mir mit Rücksicht auf die 1800 Einzelschicksale und ihre Familien und der anhängenden Zulieferketten tut. Es gibt nur eine Lösung für die Vielzahl ähnlicher oder sogar noch schlimmer gelagerter Fälle: Dieses rücksichts- und verantwortungslose Wirtschaftssystem ist zu beenden. Jegliche Vorstellung, man könne den Kapitalismus human bändigen, wird immer wieder und dauerhaft widerlegt – da werden wir noch viele Reportagen lesen dürfen.