Der etwas andere Fettdonnerstag in Aachen : Ein paar Karnevalsinseln gibt es dann doch
Aachen Was für ein Fettdonnerstag! Vom Straßenkarneval ist nichts zu sehen. Ein paar kostümierte Jecke gibt es dann doch. Und wenn man ihnen folgt, wird es sogar gesellig. Aber wo?
Auf einen Quadratmeter passen mehr als zwei Narren, klar. Im „Stehgraa“ am Theaterplatz fühlt sich der Fettdonnerstag an wie jede Weiberfastnacht seit Jahrzehnten; ausgenommen 2021, das Jahr war ein Komplettausfall. Nicht 2022: Musik, schunkeln, prosten auf engstem Raum vor der Theke, der Raum so groß wie ein Wohnzimmer, knapp 30 Leute, voll. „Nä, wat wor dat dann fröher en superjeile Zick“, tönt durch die holzgetäfelte Kneipe. Laut, liebevoll, Fastelovvend.
Doch so vieles ist nach 2020 und 2021 auch dieses Jahr anders: Die meisten Gäste in den wenigen „Karnevalsinseln“ der Stadt Aachen tragen aber zumindest Kostüm. Im Unterschied zu Köln, wie viele Heimgebliebene bedauern. „Da ist überall Party. Aber hier feiern wir endlich wieder, ganz im Unterschied zur vergangenen Session“, sagt Pascal Schlümer. Er ist extra aus Herzogenrath in die Kaiserstadt gefahren.
Löwen, Piraten, Bärchen. In der Mitte seines Hofstaats steht plötzlich Aachen Prinz I. Guido Bettenhausen in zivil. Der ist hin- und hergerissen. „Die furchtbaren Nachrichten aus der Ukraine haben dem ohnehin reduzierten Karnevalsgeschehen noch einmal einen heftigen Dämpfer verpasst; es ist eine extrem schwierige Situation“, sagt er. Es ist ein Balance-Akt. Ein Bierchen, dann ist er weg.
Andere blicken ohnehin längst voraus. Vor allem auf den 4. März, wenn Clubs und Diskotheken wie längst in allen Nachbarländern auch in Deutschland wahrscheinlich wieder öffnen. „Karneval ist für uns nur eine Episode, leider. Wir konzentrieren uns auf die Zeit ab dem 4. März, werden eine Partyzone im Pontviertel errichten und dann Vollgas geben“, sagt Marcus Kaufmann, Geschäftsführer der „Tangente“.
Dann soll Feiern wieder mit Tanz und Enge möglich sein. „Gerade die jungen Leute wollen sich endlich nach zwei Jahren wieder an der Theke oder auf der Tanzfläche kennenlernen, sich treffen“, sagt er. Hunderte, Tausende.
Doch dieses Jahr verflüchtigt sich das Feiervolk. Viele junge Leute weichen nach Belgien oder in die Niederlande aus, da ist Party mit Tanz; bei uns aber nicht erlaubt“, bedauert der Gastronom. „Dabei feiern wir hier jeden Tag, außer Sonntag, durchgehend Karneval.“
Viele Nachbarn auf der Pontschiene – etwa „Café-Madrid“ oder „Kaktus“ – haben ihre Öffnungszeiten sogar an den „tollen Tagen“ bis Veilchen-Dienstag extrem reduziert oder komplett gestrichen. Die „Tangente“ nicht. „Klar, das ist ein Risiko, aber wir wollen da sein“, sagt der Chef. Karnevalsmusik, Freibier im Stundenakkord. Kurz nach 11 Uhr prosten sich hier zwei Dutzend Studenten im Kostüm zu.
Vor dem Rathaus ist Wochenmarkt, so wie jeden Donnerstag. Bäcker wie Nobis verkaufen an diesem Fettdonnerstag rund 30 Prozent weniger Puffel. „Das ist aber angesichts der Gesamtsituation unser geringstes Problem“, sagt Michael Nobis.
Gerade läuft ein kostümiertes niederländisches Pärchen am Eäzekomp vorbei: „Wo sind alle? Nix los hier.“, wundert sich der Mann. Kaiser Karls Statue im Brunnen ist nicht einmal mit Bretterzaun geschützt, feierwütige Jecke bleiben Mangelware.
Im Supermarkt nebenan wird mehr Obst als Obstler verkauft. Ein paar Kundinnen und Kunden staunen, als sie Abordnungen von Oecher Penn und Öcher Storm – jeweils 30 bis 40 Mannslü än Fraulü – durch die Stadt marschieren sehen.
Die Penn landet im „Goldenen Schwan“: „Oberbürgermeisterin und Stadtrat wollten keine Brauchtumszone. Das heißt: Für uns gilt 2G plus. In Köln sind die Regeln schärfer. Trotzdem fahren alle dahin, weil die Kommunikation hier in Aachen nicht stimmt. Hier ist das Feiern doch mindestens so sicher“, sagt Schwan-Wirt Dieter Becker. Auch er ist mit gemischten Gefühlen am Start. Erst Corona, dann Karneval, jetzt Krieg.
„Der Angriff Russlands auf die Ukraine war ein Schock für mich. Mir ist nicht zum Feiern zumute. Ich glaube aber, dass davon völlig unabhängig einfach viel weniger los sein wird – viel weniger, als die Coronaschutzverordnung erlaubt“, erklärt er. Eine Frage der Stimmung.
Bernd Schäfer, Kommandant des KK Oecher Storm, ist mit seiner Mannschaft an Weiberfastnacht an vier Seniorenheimen aufmarschiert. Da haben sie dann jeweils eine Orgel vorgefahren, so groß wie ein Camping-Anhänger. Die Musik beflügelt. „Die älteren Herrschaften sind dann auf die Balkone gekommen, teils vor das Haus; alle haben sich riesig gefreut. Ich glaube, es hat auch jemand getanzt“, sagt Schäfer. Wobei Tanz natürlich strengstens verboten ist.
Eine Tigerin kommt auf einem Fahrrad vom Burtscheider Markt hoch zum Abteitor. E-betrieben dreht sie ein paar Runden, sie scheint ebenso nach Orientierung wie nach all den Menschen zu suchen, die doch normalerweise hier Karneval feiern. Mit den Spritzemännern, mit den Prinzen und Garden und tausenden Jecken. Heute: alles leer, alles traurig. Die Tigerin dreht jetzt ab und fährt weiter. Sucht wahrscheinlich weiter den Frohsinn.
Den haben die fröhlichen Gesellen im Café Lammerskötter gefunden. Trotz allem. „Es ist, wie es ist“, sagt Dominic Naegler. Er ist wie Manfred Willems ein original Öcher Spritzemann, und der Fettdonnerstag ist der Heimspieltag des Vereins. „Erst Corona, jetzt auch noch die Ukraine – es gab schon bessere Jahre“, sagen die Männer, die ihren Freund von der Oecher Penn, Patric Benning, auch zum Kaffee mitgenommen haben. Gleich geht‘s weiter, in die Stadt, man wird auch noch ein Bierchen trinken auf dieses seltsame Karnevalsjahr 22.
Man schlendert durch die Kapellenstraße, eine Pippi-Langstrumpf-Perücke liegt neben einer überhaupt nicht fröhlichen jungen Frau. Sieht aus wie Laune verdorben. Neben ihr sitzt ein geschätzt gleichaltriger Mafioso. Er isst Fritten mit Majo, trinkt ein Bier. Es ist 11.28 Uhr - und dieser Fettdonnerstag wird wohl nicht mehr der beiden Freund.
Gut gelaunt - trotz allem - ist Alfons Vinken unterwegs. Ein rundum knuffiger Clown, der unschwer als Niederländer zu erkennen ist. Rein sprachlich scheint der sympathische Kerkrader Einschlag sofort durch. „Kirchroa“ steht auch auf dem Hut, das ist der Platt-Begriff für den Heimatort. „51 Jahre bin ich in Kerkrade mit dem Zug gegangen, das war sehr schön.“ Aber in diesem Jahr ist alles anders. Er wohnt jetzt in Walheim, will in Burtscheid feiern. Er lacht – und zieht weiter Richtung Innenstadt. Toitoitoi, Alfons!
Eine blendende Idee haben Steffi und Christian Korr, eine Robin Hoodin und ein Schlumpf, die auf der Außenterrasse an der Kapellenstraße mit Julia Römer und Richard Sieger ein Gläschen trinken. „Wir freuen uns auf Sonntag. Da haben wir uns mit ein paar befreundeten Familien im Öcher Bösch zu einem improvisierten Kinderkarnevalszug verabredet.“
Der Fettdonnerstag 2022. Die NRW-Coronaschutzverordnung kennt kein Pardon. Schunkeln ja, schwofen nein. Da hat auch das Ordnungsamt Fettdonnerstag ein besonderes Auge drauf. Erwähnenswerte Missstände gibt es aber bis zum Abend nicht. Dafür ist die Partyszene zu klein. Die „Kiste“ am Büchel gehört dazu. Die Studierenden Jonas Lorgert (26) und Kira Brauer (23) feiern hier mit Freunden. „Wir studieren seit kurzem Lehramt; das ist endlich mal die Chance, andere Leute persönlich kennenzulernen“, freut sie sich.
Und er ergänzt: „Wir sind drei Mal geimpft, dazu getestet, da darf es jetzt auch mal wieder etwas mehr Normalität werden.“ Beide stammen aus Rheinland-Pfalz.
Statt der Abrisshämmer trommelt nachmittags eine Samba-Gruppe im Hof auf die Felle. Knapp 100 Leute schauen zu, auch einige Kinder. Gerade für die Kleinsten ist es der erste Kontakt mit dem Brauchtum Karneval. „Unvorstellbar, was alles nicht stattfindet“, sagt eine Mutter. „Man hat das Gefühl, dass man gar nicht mehr aus dem Krisenmodus rauskommt; mir reicht es“, fügt sie hinzu. Auf den paar Quadratmetern vor dem Kinderwagen wird getanzt. Ganz närrisch sind die Kinder. Passt.