Tutanchamun in Lüttich : Eine Schau mit viel Gold und vielen Kulissen
„Tutanchamun“-Schau im Lütticher Bahnhof: Eine Ausstellung über den Pharaonenkönig und wie es war, als Howard Carter vor rund 100 Jahren sein Grab entdeckte. Ein Rundgang mit viel Gold und vielen Kulissen.
Mit einer Kerze in der Hand steht Howard Carter am 26. November 1922 vor einer Steinwand im Tal der Könige in Ägypten. Er bemerkt eine kleine Öffnung in der Wand, beleuchtet sie und schiebt die Kerze durch das Loch und schaut hinein. Seine Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Aber auch, weil er so überwältigt ist, bleibt er ein paar Sekunden stumm. „Sehen Sie etwas?“, fragt ihn Lord Carnarvon, der hinter ihm steht. „Ja, wunderbare Dinge“, soll Carter geantwortet haben.
Im flackernden Licht erkennt er nach und nach die Umrisse seltsamer Tiere und Statuen, Möbel, allerlei Behältnisse und Kisten, vieles davon leuchtet golden. Carter hat das Grab Tutanchamuns entdeckt, jenem Pharaonenkönig, der circa von 1332 bis 1323 v. Chr. regierte und mit etwa 18 Jahren starb.
Es ist eine Geschichte wie aus einem Film, mit einem Helden, der auf eine abenteuerliche Suche nach einem großen Schatz geht, dabei mit kiloweise Gold und ewigem Ruhm belohnt wird, einen der ersten Medien-Hypes entfacht und aus einer alten Mumie einen Star macht. Die Ausstellung „Tutanchamun. Auf den Spuren des vergessenen Pharaos“ im Lütticher Bahnhof Guillemins erzählt diese Geschichte noch einmal neu – aus der Sicht des Entdeckers Howard Carter. Eine Schau, in der die Besucher nacherleben können, was sich vor rund hundert Jahren am Nil zugetragen hat.
Howard Carter war weder Ägyptologe noch Archäologe, sondern ein begabter Zeichner, den wie so viele in dieser Zeit die Faszination für das Alte Ägypten gepackt hatte und der dann durch gute Beziehungen ins Tal der Könige gelangte, um dort Funde abzuzeichnen. Sein Ausbilder, der akribische britische Archäologe Flinders Petrie, war zunächst wenig begeistert davon, mit ihm direkt an den Ausgrabungsstellen zusammenzuarbeiten. Weil Carter nur an Malerei und Naturkunde interessiert sei, sehe er „keinen Nutzen darin, aus ihm einen Ausgräber zu machen“, schrieb Flinders an seine Mutter zu Beginn der Zusammenarbeit. Was für ein Irrtum!
1922 suchte Howard Carter bereits seit fünf Jahren im Tal der Könige nach Zeugnissen aus der Pharaonenzeit. Sein Auftraggeber und Financier, der britische Earl Lord Carnarvon, wurde zunehmend ungeduldig und war kurz davor, die Suche einzustellen. Carter überredete ihn, einen allerletzten Versuch zu finanzieren.
Manches an dieser Geschichte aus Versuch, Misserfolgen und Jahrhundertfund wirkt fast ein bisschen dick aufgetragen, passt aber genau ins Ausstellungskonzept des Bahnhofs Guillemins. Sie wird dort in Szene gesetzt mit aller Inbrunst, derer die belgischen Ausstellungsmacher von Europa Expo fähig sind: mit viel Gold (und goldener Farbe), mit theatralischen Kulissen und mit schönen Lichteffekten auf den originalen und kopierten Ausstellungsstücken.
„Heute möchte ich Ihnen nur Freude bereiten. Folgen Sie mir. Ich schlage vor, dass wir loslegen … mit einer Bootsfahrt auf dem Nil“. Mit diesen Worten empfängt der Sprecher Howard Carters die Besucher, die mit Audioguide unterwegs sind, und führt sie auf das Deck eines Nildampfers, von wo aus sie das heutige Panorama auf das Tal der Könige genießen. An den Teepfützen in den Tassen auf den Bistro-Tischen ist zu erkennen, dass die Reisenden gerade erst aufgestanden sein müssen. Zahlreiche Originalfotografien von den Grabungsstätten und den Hauptakteuren um Howard Carter und Earl Carnarvon versetzen in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Entführung in die Zeit der Pharaonen
Bereits in dieser ersten Kulisse wird deutlich, wohin die Reise geht: Es ist eine Schau, die den Besucher nicht mit allzu viel kunsthistorischem Wissen oder mit kritischer Auseinandersetzung zum Beispiel zu der Frage, wie die ganze altägyptische Kunst in die europäischen Museen kam, belasten will, sondern hier soll der Besucher entführt werden in die glänzende Zeit der Pharaonen, er soll sich fühlen wie die Ausgräber, wie die Entdecker, wie die Abenteurer selbst. Er soll für die Zeit des Rundgangs eintauchen in die geheimnisvolle Zeit der ägyptischen Hochkultur.
Auf dieser Reise sieht er bedeutende Exponate vor allem aus europäischen Museen. Leihgaben aus dem Louvre oder aus dem belgischen Königlichen Museum Mariemont sind darunter. Auch das Römer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim hat einige Stücke beigesteuert. Einige der rund 350 Originale – Möbel, Gefäße, Steine mit Hieroglyphen, Schmuckstücke aus Gold und Edelsteinen oder altägyptische Fayence, bei der Alltagsgegenstände und Schmuck aus Quarzsand gebrannt und mit grünlicher oder blauer Glasur versehen wurden – stammen aus Privatsammlungen und waren noch nie öffentlich zu sehen.
Neben den Originalen sind es aber die 250 Repliken, die zwar zahlenmäßig den Originalen unterlegen sind, auf denen aber die Wirkung der gesamten Ausstellung beruht. Diese Objekte, die extra für die Ausstellung größtenteils in den Werkstätten des Ministeriums für ägyptische Antiquitäten angefertigt wurden, sind eingebettet in die Gestaltung ganzer Kulissen. In einer Nische ist das Grabungszelt Howard Carters rekonstruiert, man sieht ihn fast dort am Tisch sitzen und zeichnen.
Nach der Freilegung der ersten Steinstufe am 4. November 1922, die ins Grab Tutanchamuns führte, hatte Howard Carter fast zehn Jahre jedes der 5398 Objekte, die er in der Grabkammer vorgefunden hat, festgehalten und katalogisiert. Ob es ursprünglich noch mehr waren? Bei den Grabungen kam gelegentlich der ein oder andere Fund abhanden, der später manchmal in Europa wieder auftauchte.
Als Höhepunkt des Rundgangs blickt der Besucher so auch in die schummrig beleuchteten Grabkammern – und schaut auf all das, was Howard Carter 1922 auch gesehen hat: die Reliefbetten, Behälter mit Nahrung, die den Pharaonen auf ihre Reise ins Jenseits mitgegeben wurden, mumifizierte Tiere, Kisten und Koffer und auch lebensgroße hölzerne Königsstatuen, die den Pharao bewachen sollten. Hier steht der Besucher, schaut und staunt, auch wenn der echte Staub der Jahrtausende fehlt und die Wandmalereien, die vom Expo Team in Lüttich nach Fotografien gemalt wurden, ein wenig zu sehr glänzen.
Holzklappstuhl als Thron
Ein Stück weiter ist ein Teil des Königspalastes rekonstruiert. Tutanchamun hat sich wohl mit einem einfachen Holzklappstuhl als Thron zufrieden gegeben, sein Bett steht in einer Wandnische im selben Raum. Wände, Decke und Boden sind bemalt, weil sich die Menschen in Ägypten „vor der Leere fürchteten“, wie der Erzähler von Howard Carter im Audioguide erzählt. Vor der Leere muss sich der Besucher in Lüttich wahrlich nicht fürchten, bei dem Rundgang ist jeder Meter der 1800 Quadratmeter Ausstellungsfläche genutzt.
Die Mumie aus dem Sarkophag zu bergen, war eine besondere Herausforderung, mit der sich Carter wochenlang beschäftigte. Die ineinander gestapelten Särge mussten extrem vorsichtig angehoben werden, um die Mumie im Inneren nicht zu beschädigen. Carter hatte sich eine Holzkonstruktion überlegt, die er wie eine Art Himmelbett um den Sarkophag herum baute, um dann die jeweils oberste Schicht mit vier Seilwinden und dicken Tauen gleichmäßig Zentimeter für Zentimeter anzuheben. Auch diese Konstruktion ist in der Ausstellung nachgebaut, ein Film mit Originalaufnahmen der Zeit erläutert die Einzelheiten.
Der äußerste Sarkophag bestand aus Quarzit, darunter fand Carter einen vergoldeten Holzsarg und von dieser Sorte noch einen weiteren kleineren. Erst darunter kam der Sarg aus 110 Kilogramm massivem Gold zum Vorschein – und die Mumie von Tutanchamun, dessen Kopf und Schultern von einer Goldmaske bedeckt waren. Die Maske ist auch als Replik zu sehen.
Abgesehen vom Schwelgen im Pharaonenkult verfolgt die Ausstellung auch einen didaktischen Anspruch, der sie für Schulklassen interessant macht. Das Verfahren der Einbalsamierung wird ebenso anschaulich erklärt wie die Analyse der Mumien mit modernster medizinischer Technik.
Bis in die Details sei die Präsentation historisch fundiert, darauf legt der wissenschaftliche Leiter der Ausstellung, Dimitri Laboury, Dozent für Archäologie an der Uni Lüttich, wert. Auch wenn die Schau sehr auf das Erleben abzielt, ist doch bei jedem Stück sofort ersichtlich, ob es sich um ein Original oder um eine Kopie handelt – das war nicht bei allen Ausstellungen im Bahnhof so eindeutig.
In einem eigenen Bereich zeigt sich auch, worin die inhaltliche Verbindung zu Belgien und zur Stadt Lüttich liegt. Die belgische Königin Elisabeth war so begeistert von der Entdeckung des Grabes Tutanchamuns, dass sie sich bereits 1923 nach Ägypten aufmachte, um die Grabungen vor Ort anzuschauen. Damals bekam sie zwei landwirtschaftliche Geräte aus dem Grab zum Geschenk, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Begleitet wurde die Königin von Jean Capart, der nach seinem Studium – unter anderem in Bonn – an der Universität Lüttich die Fakultät für Ägyptologie gründete. Die zahlreichen originalen Dokumente aus dem Königshaus von handschriftlichen Briefen bis zur Karte des Menüs, das damals an Bord des Nildampfers gereicht wurde, deuten an, dass man auch heute noch die Begeisterung des damaligen Königshauses für die Pharaonenzeit teilt.
In Belgien zieht besonders der populärwissenschaftliche Ansatz das Publikum an. Bereits 40.000 Besucher haben die Ausstellung besucht, insgesamt sollen es rund 300.000 werden, damit die Kosten von rund 3,5 Millionen Euro eingespielt werden.