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Bangalore: Stimme für die Stummen: Der etwas andere Sender

Bangalore : Stimme für die Stummen: Der etwas andere Sender

Die kristallklare, ausdrucksstarke Stimme von Shilok Mukkati dringt durch die eigentlich schalldämpfende Tür des Tonstudios. Männlich? Weiblich? Schwer zu sagen. Das Fenster vom Vorraum in einem Radiosender im indischen Bangalore gibt den Blick frei auf einen jungen Menschen mit aufgeweckten, von schwarzem Kajalstift umrandeten Augen.

Mukkati hat die Geschlechtsmerkmale eines Mannes, lebt aber eher als Frau. Als Transgender ist ihr soziales Geschlecht nicht identisch mit ihrem biologischen Geschlecht. Eigentlich will sich die Psychologie- und Journalismusstudentin, die sich in ein geschlechterneutrales langes Shirt kleidet, gar nicht in ein Mann-Frau-System einordnen lassen. „Wenn jemand „er” zu mir sagt, ist das auch völlig okay.”

Die 20-Jährige hat einmal in der Woche ihre eigene Show beim Sender Radio Active CR 90.4 MHz. Das Radio unter dem Dach der Jain Universität ist in seiner Vielfalt wahrscheinlich einzigartig in Indien. Es bietet Müllsammlern, Näherinnen, Prostituierten, Kinderrechtsaktivisten, Tierliebhabern und fünf Transgender-Menschen Gehör.

Der Sender ist im Umkreis von 15 Kilometern, also potenziell von Millionen Menschen zu empfangen. „Wir geben den sonst oft Stummen eine Stimme”, sagte Pinky Chandran, die Gründerin von Radio Active.

Im stockkonservativen Indien ist das alles andere als selbstverständlich. Während in westlichen Ländern wie Deutschland mittlerweile ganz selbstverständlich über Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) gesprochen wird, ist das in dem südasiatischen Land anders. Dort sorgt schon das Wort „Sex” dafür, dass alle am Tisch verstummen. An eine aufgeklärte Debatte über ein Leben jenseits der Normen ist meist überhaupt nicht zu denken.

Viele Transgender in Südasien leben in eingeschworenen kleinen Gemeinschaften, quasi Ersatz-Familien. Sie werden Hijras genannt, gelten als von Gott berührt und damit als glückverheißend. Doch werden sie vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen und müssen ihren Unterhalt meist mit Betteln und Prostitution bestreiten. Etwa zwei Millionen Hijras soll es in dem Milliardenland Indien geben, schätzen Hilfsorganisationen, offizielle Zahlen gibt es nicht.

Studiohund Bonnie bei Radio Active CR 90.4 MHz ist das egal. Sie liegt entspannt auf dem Teppichboden, während Mukkati andere Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft interviewt, ihre eigenen Gedichte vorträgt oder mit Hilfe von Freunden kurze Theaterstücke einspricht. „Ich will so viele Menschen wie möglich erreichen, damit sie wissen, dass sie nicht alleine sind. Damit sie nicht Selbstmord begehen”, sagt sie.

Die 37 Jahre alte Uma, geboren als männlicher Umesh, war schon an diesem Punkt im Leben. Wenn sie über ihr Leben spricht, reiht sich eine schmerzhafte Geschichte an die nächste: Ein Lehrer misshandelte sie. Die Eltern wollten ihr das Erbe vorenthalten.

In einer Seidenfabrik wurde sie von anderen Arbeitern vergewaltigt. Als Prostituierte auf den Straßen Bangalores wurde sie von Kriminellen immer wieder ausgeraubt - und musste dann auf der Polizeiwache die Toiletten putzen.

„Beim Radio erzähle ich meine eigene Lebensgeschichte und verbinde das mit den Erfahrungen anderer”, sagt Uma, die nur einen Namen verwendet. Dazu gibt sie Tipps für die Bewältigung des Alltags, etwa welche Rechte Transgender zustehen. Oder sie spricht über Gesundheitsthemen und darüber, wo es Hilfsangebote gibt.

Priyanka, die erste Transgender-Radiomoderatorin Indiens, ist schon seit sechs Jahren bei Radio Active. „Wir wollen mehr Freiheit für unsere Lebensweisen. Und vor allem weniger Missverständnisse und Fehlvorstellungen”, sagt sie.

Priyanka hofft, dass Neu Delhi endlich das Sex-Verbot für Homosexuelle kippt. Das Gesetz aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft besagt, dass bei „Geschlechtsverkehr gegen die natürliche Ordnung” bis zu zehn Jahre Haft drohen. Doch alle Änderungsversuche schmetterte das Parlament bisher ab.

(dpa)