Corona-Pandemie : Der Weg zur Endemie
Düsseldorf Omikron ist bislang die aggressivste Mutante des Coronavirus. Trotzdem erzeugt sie regelmäßig relativ milde Verläufe. Das hat viel mit den Impfungen zu tun – und mit dem Training unseres Immunsystems.
Die Frage aller Fragen lautet derzeit: Wann hört das endlich auf? Die Antwort aller Antworten darauf gibt es natürlich nicht, aber wenn wir uns ein wenig mit der Dynamik des Geschehens, mit dem Immunsystem und mit der Pharmakologie beschäftigen, können wir zu der These kommen: 2022 hat alle Chancen, uns die Rückkehr zu einem halbwegs unbeschwerten Leben zu ermöglichen.
Unbeschwert heißt: nicht mehr so viele schwere Fälle, weniger Tote. Wir könnten wirklich den Übergang von der Pandemie in die Endemie erleben, also in eine Phase, in der das Virus zwar aktiv bleibt, aber zu kontrollieren ist – durch Impfungen und durch Medikamente.
Das Ende der Wellen wurde uns schon mehrfach versprochen, doch immer wieder kam eine neue Welle dazwischen. Schaut man jedenfalls in die Geschichte der Pandemien, so zeigt sich, dass die Wellen nie dauerhaft von identischer Intensität waren. Auch unter dem bald weltweiten Diktat von Omikron müssen wir uns die Corona-Pandemie möglicherweise als eine La-Ola-Welle im Fußballstadion vorstellen: Anfangs stehen die Leute mit Schwung auf und lassen die Welle begeistert wandern, dann kommen immer mehr Leute dazu, doch es drängt sie schon nicht mehr so sehr in die aufrechte Position. Am Ende hat die Welle alle erfasst, doch ist es keine mächtige Welle mehr, sondern nur noch eine rumorende Bewegung. Dann nehmen alle wieder Platz. Hin und wieder gibt es kleine Wellen, aber die initiale Dynamik ist abgeebbt.
Kann man das auf die Infektionsmedizin übertragen? Möglicherweise Ja. Vor allem sollten wir unsere Vorstellung davon korrigieren, was Infektion bedeutet. Manche glauben, es sei wie mit dem Lichtschalter. Licht an – Licht aus. Infiziert – nicht infiziert. Erkrankt – nicht erkrankt. Nach dem Motto: Man sieht ja, dass das Licht an ist.
Aber eine Infektion sieht oder spürt man nur, wenn sie einen symptomatischen Verlauf nimmt. In der Rückschau wird es vermutlich das Erkennungszeichen von Corona sein, dass das Virus sehr viele asymptomatische Fälle produziert, die gar nicht als Fälle in Erscheinung treten. Gesundheitsämter erleben das Flackern der PCR-Ergebnisse oft: montags ist einer negativ, mittwochs positiv, freitags wieder negativ. Das sind die Graustufen der Infektiologie. Oder wie man so schön sagt: Ihm sind ein paar Viren über die Schleimhäute gerutscht.
Wahrscheinlich ist es in diesen Zeiten einfach möglich, dass man immer mal wieder ein paar Coronaviren abbekommt. Die Frage ist: Wie viele reichen für einen schweren Verlauf aus? Die Antwort überrascht nicht mehr: Ungeimpfte erleben Krankenhauseinweisung und Beatmung – per Maske oder über die maschinelle Beatmung – regelmäßig, Geimpfte fast nie.
Viele Menschen haben sich in den Optionen der Impfung getäuscht, das lag auch an falschen Hoffnungen. Eine dauerhafte sterile Immunität wie bei der Masernimpfung durfte man sich zwar wünschen, sie ließ sich aber nicht programmieren. Liest man andererseits die Zulassungsdaten etwa von Biontech oder Moderna, so ragt ein Wert stets hervor: die sichere Verhinderung schwerer Verläufe. Das ist nicht interpretierbar.
Wer geboostert ist und mit Erkältung, Fieber, Nachtschweiß und Appetitlosigkeit im Bett liegt, wie es die Markenzeichen von Omikron sind, der ist ganz gewiss malad. Aber einen schweren Verlauf hat er nicht. Schwerer Verlauf heißt Atemnot, dramatische Sauerstoffentsättigung, Sepsis und vehementer Sturm der Zytokine (Botenstoffe) als überschießende Reaktion des Immunsystems. Für Patienten sind schwere Verläufe extrem belastend. Nicht selten haben sie sogar Todesangst, weil sie zu ersticken glauben (sofern sie nicht bereits sediert sind und künstlich beatmet werden).
Nun wird jeder Übergang von der Pandemie in die Endemie von der Erschöpfung des Virus gekennzeichnet. Was bedeutet das? Hat sich das Virus durch Omikron nicht selbst geboostert? Überfliegt oder untergräbt es Schutzwälle nicht besonders leicht? Hat es nicht eine chamäleoneske Dimension erreicht, indem es die Andockstellen des Spike-Proteins umlackiert oder neu konfiguriert hat? Ja, das ist Omikron gelungen, trotzdem wirken die Impfstoffe, indem sie schwere Verläufe verhindern, jedenfalls in den ersten Monaten überwältigend sicher. Zwischen einem Impfdurchbruch mit Erkältung und einem Impfdurchbruch mit Intensivpflichtigkeit liegen ja Welten.
Fraglos könnte Omikron an Wucht noch so zunehmen, dass die viel erwähnte kritische Infrastruktur wirklich gefährdet ist. Aber wenn sich jetzt die Impfquote in Deutschland doch noch verbessert, dann könnte sich jene Entspannung abzeichnen, die derzeit auch die iberische Halbinsel beherrscht. Zwar steigen dort seit Wochen die Infektionszahlen wieder an. Doch selbst unter dem Verzögerungswert von mehreren Wochen, der zwischen Infektion und Intensivpflichtigkeit liegt, steigt die Zahl der Kranken in den Kliniken nur langsam. Das gilt erst recht für die Todesfälle. In Portugal ist die Lage sogar „stabil“. Der Grund? Eine Impfquote von 89 Prozent. Eine neue britische Studie sagt nichts anderes: Ungeimpfte haben im Vergleich zu Geimpften ein 60-fach erhöhtes Risiko, mit Covid-19 auf der Intensivstation zu landen. Zu diesem Befund kommt das Intensive Care National Audit and Research Centre, das Krankenhausdaten auswertet.
Fachleute glauben – und hier ziehen sie eine Parallele zu südafrikanischen Daten –, dass die vergleichsweise milden Omikron-Verläufe auch mit den vielen Monaten zusammenhängen, in denen das Virus schon in der Bevölkerung zirkuliert. Vermutlich hat sogar jeder Mensch bereits Viruskontakt gehabt, es sei denn, er lebt in einer abgedichteten Blase.
Mit der Zeit ergibt sich das, was Experten Grundimmunität nennen: eine sichere Arbeitsorganisation des Immunsystems, wie mit einem als bekannt eingestuften Virus zu verfahren ist, verteilt auf Antikörper sowie B- und T-Zellen. Tatsächlich sind die T-Zellen der robusteste Abwehrmechanismus selbst bei Mutanten. Wie das gesamte Immunsystem durchlaufen sie ein dauerndes Training im Umgang mit einem Erreger.
Omikron verläuft aber möglicherweise auch deshalb mild, weil diese Virusvariante schwerer in Lungenzellen vorzudringen vermag und deshalb eher leichtere Verläufe auslöst. Eine britische Studie hat das jetzt im Labor erforscht. Ob die Ergebnisse aufs reale Leben übertragbar sind, sei noch unklar, sagen die Autoren. Es sieht aber so aus.
Und dann gibt es endlich auch Paxlovid, das erste Medikament, das als Postexpositions-Prophylaxe nach einer Infektion mit einer antiviralen Antwort kontert. Die Zulassungsstudie ist erfolgreich verlaufen, jetzt müssen Ärzte Erfahrung mit dem Medikament sammeln.
Für das Ende der Pandemie gibt es sehr gute Signale aus der Wissenschaft, deutlich stärker und belastbarer noch als vor einem Jahr. Wahrscheinlich führt kein Weg daran vorbei, dass wir in gewissen Intervallen weiterhin den Arm hinhalten. Es gibt größere Plagen.