Spitzenkandidaten im Duell : Die Gegner wären auch gute Partner
Brüssel Zwei, die für Europa kämpfen: Am Dienstagabend traten die beiden Spitzenkandidaten der Christ- und der Sozialdemokraten, Manfred Weber und Frans Timmermans, erstmals im deutschen Fernsehen gegeneinander an.
Klimaschutz, Tierhaltung, Flüchtlinge, Grenzsicherung – rund 100 Zuschauer im Studio fragten, die beiden Kandidaten für das höchste Amt der EU, den Chefsessel der Europäischen Kommission, antworteten – und sie versprachen viel. So sollen künftig in allen Mitgliedstaaten EU-Bürger schon mit 16 wählen können. Timmermans will das durchsetzen, Weber hielt sich zurück, versprach aber: „Man muss auch das Wahlalter diskutieren.“
Bei der CO2-Steuer will Timmermans vorpreschen – „wenn es europäisch nicht geht, dann werden einzelne Länder vorangehen“. Weber blieb distanziert und warnte vor den Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und mögliche Jobverluste. Der CSU-Politiker aus Deutschland und der Sozialdemokrat aus dem niederländischen Heerlen waren sich dennoch häufig nah. Dass Flugkerosin angesichts der großen Umweltbelastungen von Kurz- und Fernreisen künftig besteuert werden soll, sagten beide zu. In der Außenpolitik sprachen sie sich für eine neue Partnerschaft mit Afrika aus. Timmermans: „Ich will einen Marshall-Plan für Afrika, damit die jungen Menschen dort – besser ausgebildet, besser geschützt, besser gesundheitlich abgesichert – eine neue Perspektive haben.“
Weber sah das ähnlich. „Deutschland und Europa werden keine gute Zukunft haben, wenn uns nicht um Afrika kümmern.“ Mit dem Instrument der Handelspolitik solle die EU den Betrieben auf dem Nachbarkontinent neue Möglichkeiten eröffnen. „Handel reicht nicht“, konterte Timmermans. Er betonte, es brauche Bildungsprogramme, ja sogar eine neue Variante des Studentenaustauschprogramms Erasmus+ für junge Menschen aus den Ländern Afrikas. Notwendig sei eine neue Form von Solidarität, die die EU allerdings zunächst einmal selber erreichen müsse. Flüchtlinge, Integration, die Aufrechterhaltung des Asylschutzes für all jene, die ihn brauchen – Weber und Timmermans appellierten beide an jene Staaten im Osten der Union, die bislang die Aufnahme von Hilfesuchenden verweigern.
Dabei erinnerte der niederländische Ex-Außenminister an das deutsche Vorbild: „Als die Krise 2015 ausbrach, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Menschlichkeit Europa gerettet“, sagte er unter dem Applaus der Zuschauer. Das müsse der Weg auch in der Zukunft sein. Nicht der Sozialdemokrat Timmermans, sondern der Christdemokrat Weber war es, der immer wieder auf die soziale Dimension hinwies, der an die Konsequenzen von EU-Entscheidungen für die Arbeitsplätze erinnerte. Timmermans präsentiere sich als der radikalere, der bei Klimaschutz und Landwirtschaft zu größeren Einschnitten bereit war. „Wir müssen…“, begann er ein ums andere Mal seine auf 45 Sekunden begrenzten Antworten, was ihm in den sozialen Netzwerken um die Ohren gehauen wurde: Hätte ein Politiker, der seit fünf Jahren der wichtigste Vizepräsident der EU-Kommission war, nicht schon längst mehr tun können, wurde gefragt. Weber beließ es bei einem eher unscheinbaren „Ich werde…“
Das Duell blieb am Ende über weite Strecken ein Dialog zweier Gegner, von denen man sich vorstellen konnte, dass sie nach dem 26. Mai als Partner in einer informellen großen Koalition gut zusammenarbeiten würden. Dass dies notwendig sein dürfte, ließen beide durchblicken: Angesichts des von vielen erwarteten Erstarkens des rechten Flügels werden die demokratischen Kräfte im neuen Parlament in der Mitte zusammenrücken müssen.