Kreis Düren: Zukunftswerkstatt Kreis Düren: „Wir brauchen jedes Kind und jedes Talent“

Kreis Düren : Zukunftswerkstatt Kreis Düren: „Wir brauchen jedes Kind und jedes Talent“

Man hätte sich die Herausforderungen der Zukunft in einer leichter verträglichen Dosis um die Ohren prügeln lassen können als mit dem Vortrag von Dr. Winfried Kösters. Der Bergheimer Journalist hat den sogenannten Impulsvortrag gehalten bei der „Zukunftswerkstatt Kreis Düren 2030“.

110 Menschen aus Politik, Verwaltung, Verbänden, Institutionen und Vereinen aus dem Kreis Düren waren im Science College Haus Overbach in Barmen zusammengekommen, um zu überlegen, wie die Zukunft aussehen soll. Wie soll der demografische Wandel gestaltet werden, statt in passiv geschehen zu lassen? Das war die Frage, auf die Antworten erarbeitet werden sollen. Der Kreis Düren ist einer von acht Teilnehmern am Bundesprojekt „Demografiewerkstatt Kommunen“, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Deutschen Fernsehlotterie unterstützt wird.

Nach Kösters Impuls zeigten Schüler des Abschlussjahrgangs des Gymnasiums Kreuzau den Teilnehmenden, welche Vorstellungen sie konkret von einem lebenswerten Kreis Düren haben. Die Pennäler sparten nicht mit Kritik am Ist-Zustand. Ganz so schonungslos wie Kösters waren sie dabei nicht.

Der Redner machte mehrere Rechnungen auf, die einfach klingen, über die sich viele aber noch keine Gedanken gemacht haben. Er blickte auf den Baby-Boom 1964 mit 1 357 304 Geburten in Deutschland. 2013 seien es 682 069 gewesen. „2031 gehen die Babyboomer in Rente. Die 2013 Geborenen sind dann 18. Das sind halb so viele. Wer soll die Arbeit dann machen“, fragte er und gab selbst die Antwort: „Die Älteren.“

Die Gesellschaft werde älter, also müsse man darüber nachdenken, dass mehr Lebenszeit auch mehr Arbeitszeit bedeuten sollte. 20 Jahre lernen, 43 Jahre arbeiten und dann noch einmal 30 Jahre davon leben — dass diese Rechnung nicht funktioniere, sei nicht schwer festzustellen. „Wir brauchen ein neues Bild von Alt-Sein. 62 ist heute nicht mehr alt. Schauen Sie sich Jupp Heynckes an. Der ist 72“, baute Kösters ein aktuelles, wenn auch sehr außergewöhnliches Beispiel für die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt ein.

Eine von Kösters Forderungen: Die viel umstrittene Rente mit 67 Jahren muss hinterfragt werden. Arbeiten bis 70 müsse als Möglichkeit betrachtet werden, um die Zukunft zu gestalten. „Denn der Zug ist abgefahren, dass die Zahl der Geburten wieder so stark steigt, dass wir die Zukunft anders gestalten können.“

„Weiter so“ funktioniert nicht

Kösters Kritik an der Politik: Keine Partei habe das so wichtige Thema Demografie im Landtags- oder Bundestagswahlkampf angepackt, mit Ausnahme der Grünen. „Weiter so“ — so fasste Kösters die politischen Aussagen im Jahr 2017 aus seiner Sicht zusammen. Dass das nicht funktionieren könne, zeigt schon der Titel seines Vortrags: „Die Zukunft ist nicht die Verlängerung der Vergangenheit.“

Neben dem neuen Bild des Alters stellte Kösters eine zweite Forderung auf. „Wir brauchen jedes Kind und jedes Talent“, rief er seinen Zuhörern entgegen. Heute werde jeder zweite Arbeitsplatz nicht mehr neu besetzt, weil der Arbeiter dafür nicht geboren worden sei. Die, die da sind, müssten optimal gefördert werden. „Wir reden von lebenslangem Lernen. Das ist richtig. Aber die Grundlagen, damit das möglich ist, werden in den ersten Lebensjahren gelegt“, mahnte er bessere kindliche Förderung an.

Und ein Umdenken in Sachen Zuwanderung. Es sei eine der großen Lebenslügen, dass Deutschland kein Zuwanderungsland sei. „Wir brauchen die Potenziale der Zugewanderten“, sagte Kösters und verwies aus Zahlen aus der Gegenwart. „Wer versorgt unsere älteren Menschen? Im Krankenhaus stammt schon heute ein Drittel des Personals nicht aus Deutschland. Unsere gesundheitliche Versorgung wäre nicht mehr da, wenn wir diese Menschen nicht hätten.“ Deswegen sei eine große Aufgabe auf dem Weg in die Zukunft, ein Wertefundament zu legen zwischen Generationen und Kulturen.

Die Sicht der Schüler

Den Kreis Düren im Blick hatten die Kreuzauer Schüler. Sumeera Chandhry und Oskar Schulz trugen vor, was insgesamt 40 Schüler erarbeitet hatten. Sie regten ein von den Universitäten der Region entwickeltes Programm an, in dem Zuwanderern innerhalb von ein oder zwei Jahren Dinge lernen, „die man braucht, um unsere Gesellschaft mitzugestalten“. Sie forderten ein explizites Umschulungsprogramm für Menschen, die in Berufen arbeiten, die man nicht bis 70 ausüben kann.

Die Gewerbesteuer müsse gesenkt und neue Gewerbegebiete ausgewiesen werden, um Arbeitsplätze zu schaffen und damit Anreize für junge Menschen, im Kreis Düren zu bleiben. Selbstkritisch merkten die Schüler an, dass es an jungen Menschen sei, sich politisch stärker einzubringen.

Politik müsse auch in der Schule anders vermittelt werden, mit einem Schülerkreistag beispielsweise, der eine beratende Rolle für den Kreistag übernehmen könne. „Ansonsten wird in der Schule was von Bundestagswahl erzählt. Dann wird irgendwann gewählt und keiner weiß warum“, sagte Schulz.

Landrat Wolfgang Spelthahn kündigte an, wegen dieser Idee auf die Schulen zuzugehen. Auch die Kritik, dass des Breitband- und Mobilfunknetz im Kreis verbessert und der Öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden müsse, nahm er auf. „Wir haben das Problem, dass wir ein Flächenkreis sind und mit den Buslinien nicht überall eine Versorgung gewährleisten können. Deswegen ist aus meiner Sicht die Möglichkeit, einen Kleinbus über eine App zu bestellen, ein Mobilitätsdurchbruch für uns.“

Auch beim Breitband stimmte Spelthahn zu. Die Arbeit der Zukunft werde sich weiter verändern, mehr Menschen arbeiteten von zu Hause aus und brauchen dafür ein stabiles und schnelles Internet. „Wir starten im kommenden Jahr eine große Kampagne zum Thema Leben und Arbeiten im Kreis Düren“, kündigte Spelthahn an. Ziel sei es nicht nur, die Menschen, die bereits hier leben, von ihrer Heimat zu überzeugen, sondern auch neue hinzuzugewinnen.

2500 bis 3000 neue, bezahlbare Wohneinheiten sollen mittelfristig im Kreis entstehen in Siedlungsstrukturen in der Nähe der Tagebaue. Der Kreis habe das Potenzial, für Neuankömmlinge interessant zu sein. „Diese Lage zwischen Köln, Düsseldorf und Aachen ist eine historische Chance für uns“, erklärte Landrat Spelthahn.

Wie die genutzt werden kann — auch das war Thema in den fünf Workshops, auf die sich die Teilnehmer am Ende verteilt haben.