Kreis Heinsberg : Zahlreiche Reaktionen auf den Versuch, das Heinsberger Platt zu retten
Kreis Heinsberg Eine Ameise kommt selten allein. Vielleicht ist das der Grund, warum es auf Platt keine Singularform für die kleinen Krabbeltierchen gibt. Mundart ist eben pragmatisch und praktisch. Die emsigen Insekten kennen die Mitglieder der Redaktion von etlichen Begegnungen auf der Terrasse, die mundartliche Besonderheit der Hautfüssler kenen sie jetzt dank der vielen Reaktionen auf den Artikel „Rette das Platt: Sprich es, sonst stirbt es!“.
Ameisen heißen auf Platt „Omeseke“, aber natürlich nicht überall, ein Dorf weiter können die Ameisen schon „Sekome“ heißen, erzählte Hans-Günter Heinen aus Gangelt am Telefon.
Tierische Übersetzungshilfe leistete auch Heinz Fiegen aus Selfkant-Höngen. Wer künftig die auch im Hochdeutschen häufig verwendete Redewendung „Lieber ein Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dach“ anbringen will, weil jemand mit dem Erreichten unzufrieden ist, der könnte auch sagen: „Lever en Meusch in ner Hand als en Duv op de Dak.“
Dann spricht er Selfkänter Platt. So wie Fiegen, der es von seinen Eltern übernommen hat. Seine Mutter sagte oft: „Vertälle ist si-e, sustere und helpe ist ostere.“ (Reden ist säen, zuhören und helfen ist ernten.) Mehr musste sie gar nicht sagen, um ihn zu ermahnen, nicht schlecht über andere zu reden.
Keine korrekte Information zu dem Zustand seiner Kücheneinrichtung, aber ein Spruch mit schönem Klang schickte uns Heinz Esser per E-Mail: „Ose tinere Kaffeepot hät en de Tröt en Blötsch“. Zwar gab es in seinem Elternhaus in Dremmen keine solche zinnerne Kaffeekanne mit einer Beule am Ausguss. Aber er hat in seiner Jugend öfter eine solche gesehen.
„Zum ersten Mal bei der Kartoffelernte, wo viele Jungen im Alter von 13 oder 14 Jahren den Bauern halfen und sich etwas Taschengeld verdienten. Am frühen Nachmittag kam die Bäuerin mit einem großen Korb mit Butterbroten belegt mit Schinken, Wurst oder Käse. Zusätzlich hatte sie noch eine große selbstgebackene Apfeltorte, auf Platt Ledderkesfla, dabei und natürlich die besagte Kaffeekanne“, schreibt er.
„Hier, unter den Bauern, wird immer noch viel Platt gesprochen“, sagt Rudolf Freiherr von Scheibler-Hülhoven. In seinem Elternhaus hat er die heimische Mundart allerdings nicht gelernt. Auf dem Rittergut Haus Hülhoven wurde kein Platt gesprochen. Im Gegenteil, sein Vater sprach mehrere Fremdsprachen und seine Mutter wurde als Kind von einer Hauslehrerin unterrichtet, die nur Französisch sprach. Der Baron hat Platt in der Schule gelernt, wo die Schüler Deutsch und Mundart fröhlich mischten.
Das kam ihm während seiner Ausbildung in der Landwirtschaft zugute, sagt der 86-Jährige heute. Und weil er selbst Landwirt war, klingt die Redensart, die er parat hat, auch gleich ganz anders: „Ne Buer wird gri-es, aber nett wi-es“, sagt er und lacht. „Verstehen Sie das? ‚Ein Bauer wird grau, aber nicht weise.’“ Wieder klingt sein amüsiertes Lachen durch den Telefonhörer. Und dann erzählt er von seinem Kegelklub und von dem Spaß, den die alten Herren dort haben und das dort natürlich „Platt gekallt“ wird.
Seine Schwiegertochter, Verena Freifrau von Scheibler-Hülhoven, spricht auch noch Mundart, obwohl sie viel jüngeren Jahrgangs ist. Zumindest versteht die Familienanwältin es. In ihrem Beruf habe ihr das sogar manchmal geholfen, sagt sie. Einige ihrer Klienten konnten sich auf Platt einfach besser ausdrücken, weil es um Herzensangelegenheiten ging. Denn Mundart ist etwas, das von Herzen kommt. Wird es kompliziert und sind Fachausdrücke gefragt, wechseln die Menschen ins Hochdeutsche, hat die Hülhovener Anwältin beobachtet. Oder gibt es einen Mundartausdruck für Katheter?
Zungenbrecher gefällig? Johannes Winkens aus Dremmen hat einen parat: „Henger Hörkes Hannese Huus hüere Hörkes Hannes Hond hoonged Hase höaschkes hooste.“ Na? Genau! Das ist etwas für Profis! Hinter Hörkes Hannes Haus hört Hannes Hörkes Hund hundert Hasen leise husten. Hörkes, so wurde eine Familie namens Tillmans früher genannt, erklärte Johannes Winkens. Viele Familien hätten auf dem Dorf solche Kurz- und Kosenamen gehabt wie Heuwägelkes oder Botterjönkes. Wer in dem Dorf wohnte, wusste, wer gemeint war.
„Pass op! Ongesch kömmst du op Poat“. Hans-Günter Heinen aus Gangelt hat auch eine Vermutung, in welchen Turm in Gangelt ein Missetäter gesperrt werden sollte, wenn er nicht gut aufpasste. Heinen ist historisch bewandert und kann auch erklären, warum der Satz „En Doreen wi en Karke in de Kirk“ nur in der Heinsberger Ecke verstanden wurde.
„Dat Doreen“, also das Durcheinander in der Kirche hatten die Spanier verursacht, die während der spanischen Erbfolgekriege (1701-1714) Karken geplündert haben. Die Niederländer setzten sich mit den Spaniern auseinander und die Bevölkerung rettete sich in die Kirche. Als der Überfall vorbei war und die Türen zur Kirche geöffnet wurden, herrschte dort ein ziemliches Chaos. Soweit die Legende. Ob es nur ein „nuersele Vertäll“ ist?
Im Norden des Kreises Heinsberg würde man eine Geschichte ohne Hand und Fuß so nennen, erzählte eine Hückelhovenerin, die auch noch die schönen Worte „weasch“ für widerborstig, „lues“ für pfiffig und „Ursel“ für Dreck unserem kleinen, garantiert unvollständigen Mundartlexikon hinzufügen will. Das sind Begriffe, die immer wieder in ihrem Sprachschatz auftauchen. Begriffe, die anderen ganz schnell verraten, wo sie Zuhause ist. Begriffe, die sie auch ihrem Enkelkind beibringen will, um die Sprache lebendig zu halten.
„Kenger, wat en schönn Idee et Platt wörm jett ze fördere. Do mach isch jeär met“, schreibt Marlies Kinny, die mit ihrem ebenfalls Platt „kallenden“ Mann in „Übich-Palebersch“ leäved und gleich die komplette Mail in Mundart formuliert hat. „Völl Jröß, en enne joue Vermach an de schönne Sommerdaach“, schreibt Maries Kinny zum Schluss. Schöner hätten wir das jetzt auch nicht sagen können.