Aachen : Unbequeme Wahrheiten und Selbstkritik
Aachen Mit 25 Gegenstimmen hatte Ulla Thönnissen insgeheim gerechnet. Dass es bei dem jüngsten Wahl-Kreisparteitag der CDU Aachen aber 40 wurden, hat die wiedergewählte Parteichefin dann doch etwas gewurmt. Denn mit 65 Prozent Zustimmung lag sie sogar noch acht Prozent unter dem schwachen Ergebnis aus dem Jahr 2013.
Damals lagen die Gründe klar auf der Hand: Die Aachener Ratsfraktion war zerstritten. Die „Krokodile“ — so benannt nach dem Restaurant, in dem sich die Protestler trafen — probten den Aufstand, verscheuchten den Fraktionsvorsitzenden Harald Baal und hievten ihre Favoritin Maike Schlick an die Fraktionsspitze. Das Intermezzo der „Krokodile“ war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Wähler straften Schlick ab, sie verlor bei der letzten Kommunalwahl ihren Ratssitz und somit auch den Fraktionsvorsitz.
Sollten die „Krokodile“ nun einen Rachefeldzug gestartet haben? „Nein“, sagt der Fraktionsvorsitzende Baal, der vor zwei Jahren selbst bittere Erfahrungen mit den „Krokodilen“ machen musste. Das Thema sei erledigt.
Grundsätzlich gebe es in der Delegiertenschaft — nur die durfte am Freitagabend bei dem Parteitag ihre Stimme abgeben — immer einige Unzufriedene gebe, „seitdem Helmut Kohl nicht mehr Kanzler ist“, so Baal. Und die hätten mit dem innerparteilichen Reformprozess ebenso ihre Probleme wie mit dem Flüchtlingsthema, das eine große Rolle bei dem Parteitag gespielt habe.
Ähnlich sieht das Ulla Thönnissen: „Es gibt eine Gruppe von Unzufriedenen, das steht außer Frage. Es ist aber schade, dass bei einem Parteitag nicht mit offenem Visier darüber geredet wird und stattdessen Stimmkarten eingesetzt werden.“
Der von Baal angesprochene „Reformprozess“ zielt innerparteilich auf das Delegiertensystem ab, das auf den Prüfstand gestellt und möglicherweise abgeschafft werden soll. Organisationsabläufe sollen auf den neuesten Stand gebracht und so die Effizienz der Parteiarbeit gesteigert werden.
Heißt konkret: Künftig sollen nicht mehr Delegierte, sondern Parteimitglieder die Parteispitze wählen. „Das sind für einige unbequeme Wahrheiten, aber wir müssen den Mut zu Veränderungen haben“, betont Thönnissen. Seit 25 Jahren sei an diesem System nichts geändert worden, jetzt seien Reformen überfällig.
„Unter diesen Vorzeichen — dazu zählen auch die unterschiedlichen Auffassungen in der Flüchtlingsfrage — hätte es jeden Vorsitzenden getroffen“, sagt Baal, „ das ist keine persönliche Ulla-Angelegenheit.“
„Ich habe keine Erklärung“, sagt Ratsherr Ernst-Rudolf Kühn, der seinerzeit als eines der wenigen „Krokodile“ öffentlich Stellung zu den damaligen Problemen innerhalb der Aachener CDU-Fraktion bezog. „Von einem Rachfeldzug der „Krokodile“ kann aber nicht die Rede sein, das ist Quatsch“, stellt Kühn klar. Schließlich sei Harald Baal mit einem sehr guten Ergebnis als Beisitzer in den Kreisvorstand gewählt worden.
„Blöd“, so Kühn, sei dieses Ergebnis aber mit Blick auf die Außendarstellung der Partei. Damit liegt er auf einer Linie mit seiner Parteichefin: „Bei uns läuft es sehr gut. Wir stellen sieben Bezirksbürgermeister, 28 Ratsmitglieder und den Oberbürgermeister in Aachen, zwei Landtagsabgeordnete, einen Bundestagsabgeordneten sowie eine Europaabgeordnete. Und jetzt sorgen wir wieder intern für öffentlichen Gesprächsstoff.“
Dass Michael Kirsch aus Brand, einer von drei Thönnissen-Stellvertretern, den Sprung über die 50-Prozent-Marke nicht geschafft hat und somit aus dem Vorstand flog, ist für Kühn und Baal keine eigentliche Überraschung. „Er war als Art Bindeglied zwischen Städteregionstag und Stadtrat gedacht, war aber nicht so präsent“, erklärt Kühn.
Von Beginn seiner zweijährigen Amtszeit sei Kirsch „umstritten“ gewesen“, erläutert Baal: „Seine Abwahl ist kein Drama.“ Der spontan für Kirsch gewählte Wolfgang Königs, auch aus Brand, tue dem Vorstand gut, sind Baal und Kühn überzeugt. Auch wenn die Parteivorsitzende das schlechte Ergebnis für Kirsch bedauert, freut sie sich auf die Zusammenarbeit mit Königs. Er sei eine integre Persönlichkeit, die gut in das Vorstandsteam passe.
Selbstkritisch hält Thönnissen nach der Analyse ihres schwachen Wahlergebnisses aber auch fest, dass sie vielleicht ein wenig zu blauäugig in den Parteitag gegangen sei: „Den Vorwurf, dass ich im Vorfeld nicht genug Gespräche geführt habe, muss ich mir machen.“
Gesprächsbedarf besteht in der CDU allemal, denn hält Thönnissens Abwärtstrend an, könnte es in zwei Jahren knapp werden: 2012 ist sie mit 93 Prozent gestartet, 2013 waren es noch 73 Prozent, am Freitagabend nur noch 65 Prozent der Stimmen...