Städteregion : Trotz Arbeit reicht das Geld oft nicht aus
Städteregion Herbert Heinen (Name von der Redaktion geändert) ist 46 Jahre alt. Er arbeitet als Wachmann einer Sicherheitsfirma. Doch das heißt nicht, dass er seinen Lebensunterhalt sichern kann. Der 46-Jährige lebt am Existenzminimum.
Bei jedem Einkauf, den er tätigt, muss er zweimal überlegen, ob er die Ware in den Wagen legt oder sie lieber im Regal stehen lässt. Am Wochenende ins Kino gehen oder mit Freunden einen Ausflug unternehmen? Fehlanzeige! Das Geld ist einfach zu knapp.
Herbert Heinen ist mit seiner Situation nicht alleine. In der Städteregion gibt es viele Menschen, die zwar täglich einer Erwerbsarbeit nachgehen, mit ihrem Einkommen aber nicht ihren Lebensunterhalt sichern können. Sie sind zusätzlich auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV-Leistungen) angewiesen.
Nach den letzten Berechnungen des Jobcenters hatten von den 39 669 erwerbsfähigen Hartz-IV-Leistungsberechtigten in der Städteregion im Mai 9395 — das sind 23,7 Prozent — ein Erwerbseinkommen, davon 1144 mehr als 1200 Euro im Monat. Im Jahr davor lag der Anteil der sogenannten Aufstocker sogar bei 24,7 Prozent.
Sie und ihre Familien gehören zu der großen Gruppe von Menschen, die arm oder armutsgefährdet sind. Laut Definition der Europäischen Union gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung eines Landes oder einer Region zur Verfügung hat.
„Menschen mit einem sehr niedrigen Einkommen können am gesellschaftlichen Leben nicht in dem Maße teilnehmen, wie es Menschen mit einem höheren Einkommen tun können“, sagt Stefan Graaf, Geschäftsführer des Jobcenters Städteregion und Sprecher der Jobcenter auf Bundes- und Landesebene. Zu jener Gruppe zählen auch all diejenigen, die keine Arbeit haben und langzeitarbeitslos (ein Jahr oder länger) sind.
Das sind in der Städteregion zurzeit rund 10.300 Männer und Frauen. So verschieden sie auch sein mögen, sie sind in der gleichen Situation. „Wenn Menschen keine Arbeit haben, fehlt ihnen die Tagesstruktur. Sie fühlen sich alleine und sind häufiger krank“, sagt Graaf. Doch sei es nicht nur die Tagesstruktur, die häufig fehle.
Es seien auch die sozialen Kontakte, der Ausgleich und der Spaß am Leben. Aus langjähriger Erfahrung weiß Graaf, dass Menschen ohne Arbeit häufiger mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, weil ihnen durch ihre Langzeitarbeitslosigkeit der Sinn fürs Leben fehlt.
Ihre Situation und ihr Empfinden beeinflusst nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Kinder, sagt der Geschäftsführer. Ein Problem, das man in der Städteregion längst erkannt hat. „Wir beobachten, dass Kinder, deren Eltern arbeitslos sind, auch häufig keine Arbeit finden“, berichtet Graaf. Die Gründe sind bekannt: Kinder aus sozial benachteiligten Familien sind häufig schlechter in der Schule. Ohne Schulabschluss bekommen sie keine Ausbildung, und ohne Ausbildung keinen Job. Eine Kettenreaktion also.
In die Bildung zu investieren, sei daher wichtiger denn je. Für Stefan Graaf gibt es aber einen ebenso wichtigen und vielleicht viel entscheidenderen Punkt: „Jeder Mensch hat ein Recht auf Arbeit — auch Menschen, die weniger qualifiziert sind. Das ist aber nur möglich, wenn beispielsweise Unternehmen bereit sind, auch Frauen und Männern eine Chance zu geben, die sozial benachteiligt sind oder keinen hohen Bildungsgrad haben.“
Selbst wenn es eine einfache Arbeit sei. Die Betroffenen hätten wieder eine Aufgabe und einen geregelten Tagesablauf — zwei Faktoren, die auch eine positive Auswirkung auf das Selbstwertgefühl hätten und keineswegs utopisch seien.
Projekte sind befristet
„Der Arbeitsmarkt muss wieder menschlicher sein, und die Unternehmen sollten wieder nachsichtiger gegenüber all denjenigen sein, die aufgrund unterschiedlicher Ursachen auf dem ‚normalen‘ Arbeitsmarkt in der Regel nur schwer einen Job finden“, sagt Alois Poquett, Geschäftsführer des Vereins Wabe — Diakonisches Netzwerk Aachen.
Es gäbe viele Männer und Frauen in der Städteregion, die zurzeit keine Chance hätten, ungefördert auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu bekommen. Das müsse sich ändern. Schnellstmöglich. Der Arbeitsmarkt alleine könne das aber nicht richten. Es bedürfe politischer und staatlicher Regelungen, damit dies gelingen könne.
Die Fakten sind bekannt. Projekte und Experimente für Langzeitarbeitslose gibt es zur Genüge. Allerdings nur für einen gewissen Zeitraum. So zum Beispiel bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs. „Nach sechs Monaten stehen die Langzeitarbeitslosen wieder vor dem Nichts. Der Rhythmus und die Struktur im Alltag sind mit einem Mal vorbei. Das kann nicht sein“, sagt Graaf. „Kurzfristige Projekte sind nicht effektiv. Es muss etwas Langfristiges aufgebaut werden“, ist auch Poquett sicher.
In den kommenden Jahren wird sich die Situation weiter verschärfen, sind die Fachleute überzeugt. „Die zunehmende Zahl von Flüchtlingen wird den Arbeitsmarkt weiter verändern. Die Politik muss dringend aktiv werden“, fordert Graaf. Die Gesellschaft könnte letztlich doch nur von der Arbeitskraft als solche profitieren. Seien es nun Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung oder Frauen und Männer, die keinen hohen Bildungsgrad haben. „Wir sollten nicht vergessen, dass jeder Mensch wertvoll ist“, meint Alois Poquett.