Aachen : Ruhig mal in die Ferne schweifen
Aachen Lars Göldner hatte sich das Ganze irgendwie anders vorgestellt. Bei der AFS, einer der größten und ältesten Organisationen für weltweiten Schüleraustausch, hatte er sich beworben. Die USA, Kanada und Skandinavien schrieb er ganz oben auf die Liste seiner Traumziele. Weiter unten, auf dem letzten Platz, trug er Thailand ein. Nicht viel später zurrt Göldner den Sicherheitsgurt fest. Der Flieger setzt zur Landung an. In Thailand. Die Schule, die Göldner für das nächste Jahr besuchen wird, hat einen Empfang für ihn vorbereitet.
Vor 2500 Schülern soll er eine kurze Begrüßungsrede halten, bis auf ein paar Brocken spricht er kein Wort Thai. Aber er hält diese Begrüßungsrede. Mit ein paar Brocken Thai und viel Schulenglisch. Und wenn Lars Göldner, heute 21 und Maschinenbaustudent an der RWTH, daran zurückdenkt, dann lächelt er und sagt: „Das hat mich viel lockerer werden lassen. Seitdem habe ich kein Problem mehr damit, auf fremde Leute zuzugehen.”
Und Göldner sagt noch etwas: „Wichtig ist nicht, wohin man kommt, sondern nur, dass man weggeht.” Damit vertritt er gewissermaßen die Philosophie des AFS, dem er seit seinem Thailand-Austausch als ehernamtlicher Koordinator erhalten geblieben ist.
AFS, das steht für „American Field Service” und verweist auf die historischen Wurzeln der gemeinnützigen Organisation. Die liegen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, wo sich mutige Freiwillige dazu verpflichteten, Verwundete zu versorgen. Heute organisiert AFS den Schüleraustausch zwischen rund 60 Ländern auf allen Kontinenten. „Aber der Anspruch, die Welt zu verbessern, ist geblieben”, sagt Göldner.
Es war sicher auch dieses Ziel, dass die 18-jährige Lisa Conin dazu bewog, sich als ehrenamtliche Betreuerin bei AFS zu engagieren. Auch sie machte mit Hilfe der Organisation einen Austausch. Auch sie landete nicht dort, wo sie eigentlich hinwollte. Statt in die USA, Kanada oder Australien, die übrigens als absolute Favoriten gelten, landete Conin in Brasilien. Heute sagt die Schülerin, die gerade ihr Fachabi baut: „Es war einfach super. Ich will da unbedingt wieder hin.” Besonders die brasilianische Herzlichkeit habe ihr imponiert.
Emre Laleli und Karl Zhoa sind gerade noch dabei, eine andere Kultur kennenzulernen. Laleli kommt aus der Türkei, Zhoa aus China. Beide hat das AFS-Austauschprogramm nach Deutschland geführt. Laleli trainiert zwei- mal wöchentlich im Fußballverein, hat neue Freunde gefunden, spricht Deutsch mittlerweile fast fließend. „Wenn man darauf angewiesen ist, lernt man es sehr schnell”, sagt er. Zhoa nickt und fügt hinzu: „Die Gastfamilie, bei der ich untergebracht bin, ist wirklich nett.”
Die Schulpflicht bleibt während des Austauschs, der in der Regel ein Jahr dauert, übrigens erhalten. Untergebracht werden die Schüler ausnahmslos in Gastfamilien. Das ist nicht nur bei AFS so, sondern auch bei „Youth for Understanding” (YFU), einer weiteren großen Schüleraustauschorganisation. Jona Redslob ist für sie als ehrenamtlicher Mitarbeiter tätig, seit er am Austauschprogramm teilnahm. Der 19-jährige landete in Lettland. „Das war nicht mein Traumland, aber jetzt ist es es”, sagt Redslob, der mittlerweile fließend lettisch spricht.
Das schnelle Erlernen einer neuen Sprache sei nicht der einzige Vorteil. Mit Blick auf den Beruf stärke der Austausch gerade die viel zitierten Soft-Skills wie Flexibilität und interkulturelle Kompetenz. „Dazu ist man plötzlich auf sich selber gestellt, man wird selbstständiger”, hat Lisa Conin beobachtet. Lars Göldner sagt: „Von Eltern hört man oft, dass ein Kind gegangen und ein Erwachsener wiedergekommen ist.” Gerade weil es oft anders kommt, als man es sich vorgestellt hat.