Aachen: Personalrat-Skandal trifft Städteregion

Aachen : Personalrat-Skandal trifft Städteregion

Verwaltungsfachangestellter ist ein anerkannter Ausbildungsberuf. Damit wird man meist Bürosachbearbeiter. Man kann wie jeder andere Verwaltungsmitarbeiter auch freigestelltes Personalratsmitglied werden. Das ist ein Ehrenamt. Dieser Posten darf nicht mit einem höheren Gehalt „belohnt“ werden.

Auf der anderen Seite darf man deswegen auch nicht benachteiligt werden. Kurzum: Man bleibt, was man vorher war. Zum Beispiel Verwaltungsfachangestellter. Wird man mit dieser Ausbildung als Personalratsvorsitzender in wenigen Jahren auf eine Gehaltsstufe gehievt, die der eines Verwaltungsmitarbeiters mit wissenschaftlichem Hochschulstudium entspricht, kann offenkundig etwas nicht stimmen.

Diese Story könnte einem bekannt vorkommen. Sie klingt wie jene des früheren Gesamtpersonalratsvorsitzenden der Stadt Aachen und Ex-Personalratschef des Stadtbetriebs. Bei ihm hatten Rechnungsprüfer festgestellt, dass ihm in diesen Ämtern binnen drei Jahren sein Gehalt verdoppelt wurde. Mit seiner Qualifikation hätte er maximal die Entgeltgruppe (EG) 9a des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) bekommen dürfen, kletterte aber von EG 7 bis auf 12, mit rechtswidrigen Zulagen sogar auf über 14.

Schaden für den Steuerzahler laut Rechnungsprüfern: bis zu 164.000 Euro. Ob hier Untreue vorliegt, ermittelt die Staatsanwaltschaft, nachdem unsere Zeitung den Fall aufgedeckt hatte. Im Fokus stehen jene, die als Vorgesetzte diesen Aufstieg ermöglichten. Doch das ist offenbar kein Einzelfall.

Über 2000 Euro zuviel?

Womit man wieder beim Verwaltungsfachangestellten wäre — und beim Personalrat der Städteregion Aachen. Mitarbeiter mit dieser Ausbildung und ohne weitere Qualifikation können sich in ihrer Karriere bis in die Gruppe 9a hocharbeiten. Jener Verwaltungsfachangestellte, der Personalratsvorsitzender der Städteregion und Mitglied der Gewerkschaft Komba ist, soll nach Informationen unserer Zeitung allerdings ein Gehalt der Entgeltgruppe 14 kassieren — was dem höheren Dienst mit wissenschaftlichem Hochschulstudium entspricht.

Zum Vergleich: Mit EG 9a kann man derzeit monatlich maximal laut Tariftabelle (je nach Dienstjahren) 3975,66 Euro bekommen. In EG 14 sind es 6119,17 Euro. Ein Unterschied von 2143,51 Euro monatlich oder 25.722,12 Euro jährlich. Und der Personalratsvorsitzende ist in dem Gremium offenbar kein Einzelfall. Denn dort gibt es auch eine freigestellte Personalrätin ohne Verwaltungsfachausbildung, die auf der Komba-Webseite als „Verwaltungsangestellte“ bezeichnet wird.

Diese zweite stellvertretende Personalratsvorsitzende soll Entgeltgruppe 11 erhalten. Voraussetzung dafür ist normalerweise ein Fachhochschulstudium, ein Bachelor-Abschluss oder die Weiterbildung zum Verwaltungsfachwirt. Auch hier liegt möglicherweise eine krasse Überbezahlung vor.

Was man bei der Städteregion aber nicht so sieht. Auf Anfrage geht Pressesprecher Detlef Funken zwar nicht auf die einzelnen Personalien ein, erläutert jedoch, nach welchem Prinzip bei der Städteregion verfahren wird. Man bediene sich eines gängigen Verfahrens, der sogenannten „Vergleichsgruppe“. Das soll gewährleisten, dass man dem Personalrat in etwa die gleiche berufliche Laufbahn ermöglicht wie vergleichbaren Mitarbeitern.

Kurz gesagt funktioniert das so: Zu Beginn der Freistellung muss besagte Gruppe gebildet werden, wobei die Vergleichspersonen in etwa den gleichen Werdegang und die gleiche Qualifikation haben und die Inhalte ihrer Arbeit ungefähr deckungsgleich sein sollten. Über die Jahre schaut man, welche Entwicklung diese Vergleichspersonen nehmen und überträgt dies dann auf das Personalratsmitglied — das nennt man „fiktive Laufbahnnachzeichnung“.

Entscheidend ist auch, dass man sich am Werdegang der überwiegenden Mehrheit der Vergleichsgruppe orientieren muss. Von dieser Praxis, so heißt es bei der Städteregion, sei man auch in den vorliegenden Fällen nicht abgewichen.

Wenn das stimmt, dann müsste es innerhalb der Städteregionsverwaltung — nimmt man den Personalratsvorsitzenden und sein Gehalt als Beispiel — eine Reihe von Verwaltungsfachangestellten geben, die innerhalb der vergangenen Jahre um etliche Gehaltsgruppen auf EG 14 gestiegen wären. Und es müsste dann eine ganze Reihe von Beschäftigten geben, die weit mehr verdienen, als ihnen aufgrund ihrer Qualifikation zustehen würde.

Funken sagt auf Nachfrage, dass es „hier in der Städteregionsverwaltung jeweils mindestens fünf Personen in einer gleichartigen Position beziehungsweise vergleichbaren Funktion“ gebe. Und: „Die Bildung der Vergleichsgruppe erfolgt hier regelmäßig nach einem Höhergruppierungsantrag.“

Das allerdings ist den Regeln nach nicht erlaubt. Die Vergleichsgruppe muss immer dieselbe wie am Anfang sein und darf nicht bei jedem Höhergruppierungsantrag neu gebildet werden (siehe auch „Nachgefragt“). Funken betont trotzdem: „Gründe für eine eventuelle spekulative Vermutung von nicht sachgemäßen Entscheidungen bei der Vergütung/Besoldung von Mitgliedern des Personalrates bei der Städteregion Aachen sind hier nicht ersichtlich.“

„Frappierende Sprünge“

Das sehen Fachleute anders. Da es anders als im Fall des Aachener Personalratsvorsitzenden in der Städteregion bis dato keine Untersuchung der Rechnungsprüfer gibt, hat unsere Zeitung renommierte Experten in Fragen des Personalvertretungsrechts hinzugezogen. Die Antworten sind deutlich.

So kommt etwa Dr. Timo Hebeler, Professor unter anderem für Verwaltungswissenschaft an der Uni Trier, mit Blick auf die Fälle in Stadt und Städteregion zu dem Ergebnis: „Die zahlreichen ‚Sprünge‘ nach oben in der Entgelteingruppierung im konkreten Fall [...] sind in der Tat so frappierend, dass es aus meiner Sicht nahezu undenkbar ist, dass sie das Ergebnis einer rechtmäßig durchgeführten fiktiven Laufbahnnachzeichnung sein können.“

Übliche Entwicklung als Maßstab

Nicht anders sieht das Rechtsanwalt Dr. Thomas Fröhlich, der früher in der Bundesverwaltung unter anderem im Bereich der Korruptionsprävention tätig war. „Mit der fiktiven Nachzeichnung ist die übliche berufliche Entwicklung zu erfassen, mit der aufgrund der jeweiligen behördlichen Gegebenheiten zumindest in der überwiegenden Anzahl der vergleichbaren Fälle gerechnet werden kann. Der Begriff der Üblichkeit bezeichnet nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Normallfall, nicht den Ausnahmefall“, erläutert er.

Mit Blick auf die Fälle in Stadt und Städteregion sagt er: „Legt man diese Grundsätze zugrunde, sind berufliche Aufstiege vom Gärtner nach E 12, von der Bürogehilfin nach E 11 und vom Verwaltungsfachangestellten nach E 14 in keiner Weise üblich und nicht gerechtfertigt. Es handelt sich nicht um Normalfälle der beruflichen Entwicklung, sondern um Ausnahmefälle.“ Fröhlich sagt auch, dass solche Vorkommnisse wie die in Aachen heute wohl eher Seltenheitswert hätten. Im Gegenteil habe er es stets mit Fällen der Benachteiligung von Personalräten zu tun.

Wie schon im Aachener Fall gibt es auch in der Städteregion zwei Seiten. Zum einen die, dass Personalräte möglicherweise krass überbezahlt werden. Das kann man moralisch fragwürdig finden. Entscheidender jedoch sind diejenigen, die das genehmigt haben. Pressesprecher Funken erläutert zum Prozedere, das „in aller Offenheit“ geführt werde: „Über die Eingruppierung von freigestellten Personalratsmitgliedern entscheidet der Städteregionsrat unter Beteiligung des Personaldezernenten (Allgemeiner Vertreter) und der Leiterin des Amtes Zentrale Dienste (‚Personalamt‘).“

Diese erfolge zunächst in einer „Vorprüfung“. Zudem gebe es eine transparente Vorlage für die Mitbestimmung des Personalrats. Bei einem positiven Votum erfolge „wie bei allen anderen Personalentscheidungen die Umsetzung durch die Verwaltung.“

Mit den aktuellen Fällen steht nunmehr auch nicht mehr nur die Gewerkschaft Verdi, deren Mitglied der Ex-Personalratsvorsitzende im Stadtbetrieb ist, im Fokus. Die beiden Städteregions-Personalräte sind Mitglieder der gewerkschaftlichen Konkurrenz Komba. Diese hatte nach Bekanntwerden des Aachener Falls in Aachen alle städtischen Personalräte aufgefordert, „für Aufklärung und Transparenz“ zu sorgen. Die vier freigestellten Verdi-Personalräte in der Aachener Stadtverwaltung tun dies bereits: Sie haben im städtischen Intranet ihre Eingruppierungen und die einzelnen Beförderungsschritte veröffentlicht.

Der Personalratsvorsitzende der Städteregionsverwaltung und seine 2. Stellvertreterin halten es damit anders: Sie wollten sich auf Anfrage unserer Zeitung über die Stellungnahmen der Pressestelle hinaus nicht zu ihren persönlichen Einkommensverhältnissen äußern.