Städteregion : Neue Chance für die berufliche Karriere
Städteregion Am Anfang fristete das Euregio-Kolleg ein recht trauriges Dasein: in den Räumen der ausgelaufenen Sonderschule im Zentrum Würselens. Für Erwachsene zu kleine Stühle, schlechte Ausstattung, so war das vor 30 Jahren. 1998 brauchte die Stadt Würselen dann für die damals auslaufende Hauptschule Raum, was sich für das Kolleg als großer Glücksfall erwies.
Es konnte in eine Industriebrache an der Friedrichstraße umziehen. Ein Teil des Gebäudekomplexes der ehemaligen Genossenschaft Konsum, später Coop, wurde saniert und um einen halbrunden Vorbau erweitert. Der schnell wachsenden Studentenzahl konnte damit ebenso Rechnung getragen werden wie den gehobenen Bedürfnissen, Stichwort: moderne naturwissenschaftliche Räume.
Wie das Kolleg gewachsen ist, kann man am morgigen Samstag beim Tag der offenen Tür (siehe Infobox) zum Geburtstag mit Hilfe von im Foyer ausgestellten Bildern erfahren.
Wenn man die Entwicklung des Kollegs von damals bis heute inhaltlich verstehen will, empfiehlt sich am ehesten ein Blick auf das Angebot. Anders formuliert: An der Basis — nicht-gymnasialer Weg zum Abitur — hat sich nichts verändert, wohl aber an der Art und Weise, wie dieser beschritten werden kann. „Angefangen haben wir mit drei Klassen im Tageskolleg“, erläutert Kollegsleiter Martin Sayer. Heißt: In der Regel junge Menschen von Anfang, Mitte 20 unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit, um in drei Jahren an fünf Tagen und 30 Stunden pro Woche das Abitur nachzuholen.
„Wir sind so etwas wie der Reparaturbetrieb für diejenigen, die es weder über Gymnasium oder Gesamtschule noch über ein Berufskolleg geschafft haben“, sagt Sayer. Er spricht von den Ängsten, die viele haben, die aus der Unterbrechung der Karriere resultierten, von großen Veränderungen, auch im sozialen Umfeld, die sich während der drei Jahre ergeben können. Aber auch von Menschen, die eben ihren eigenen Weg gegangen sind — vielleicht über einen Umweg — und sich als Erwachsene neu definieren.
Und Doris Harst, Vorsitzende des Trägers Weiterbildungskolleg (WbK) e.V., ergänzt, dass das besondere Anforderungen an die 35 Lehrer stellt: „Da braucht es ein empathisches Kollegium, das für die besondere Situation, in der sich diese Menschen befinden, Verständnis hat.“
Und diese Situation verlangt manchmal nach anderen Lehrplänen, die beispielsweise Menschen, die weiterarbeiten wollen oder müssen, einbeziehen. So kamen Teilzeitkolleg, Vormittagskurs, Abitur Online und Externenabitur hinzu. Bei letzterem wird von sogenannten Nichtschülern eigenverantwortliches Lernen vorausgesetzt, und das Kolleg nimmt „nur“ die Prüfungen ab. Aber die meisten der 365 Studenten wählen nach wie vor den klassischen Weg.
Und wie wird es in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten weitergehen? Sayer beschreibt den Trend, dass immer mehr Jugendliche regulär das Abitur ablegen: „Vor 30 Jahren waren es nur rund 30 Prozent eines Jahrgangs, heute steuern wir auf die 60 Prozent zu.“ Mit anderen Worten: Die Zahl potenzieller Kandidaten für sein Kolleg sinkt. Diesen Trend kann vermutlich auch nicht die kürzlich eingerichtete Flüchtlingsklasse wettmachen, deren Studenten nach einem Vorbereitungskurs je nach Fähigkeiten in den Regelbetrieb eingegliedert werden. Zielgruppe sind Menschen, die bereits gute deutsche Sprachkenntnisse sowie die Hochschulreife besitzen und vielleicht schon studiert haben.
Beim Blick nach vorne muss das Euregio-Kolleg also auch nach rechts und links schauen. Bereits seit rund 20 Jahren gibt es eine Zusammenarbeit mit dem in Aachen ansässigen Abendgymnasium der Städteregion. Von einem ambivalenten Verhältnis aus Kooperation und Konkurrenz spricht Sayer, schließlich überschneiden sich die Angebote zum Teil. Ob es zu einer Fusion kommen wird, ist noch offen. Im Rahmen des Strukturkonzeptes 2015 - 2025 prüft die Städteregion diese Möglichkeit derzeit. „Langfristig ist es sinnvoller, sich angesichts sinkender Anmeldezahlen zusammenzutun, statt zwei kleine Einrichtungen mit einem eingeschränkten Angebot vorzuhalten“, findet Sayer. Auch die bessere Raumauslastung würde dafür sprechen. Die Sparidee dürfe aber nicht dazu führen, dass das mit Blick auf die zum Teil schwierige Situation der Studenten „zerbrechliche Pflänzchen Zweiter Bildungsweg“ zertrampelt werde.