Alsdorf : Mai-Klassik-Festival: Herr Professor jodelt auf dem Cello
Alsdorf „HC“ wird er intern im Alsdorfer Energeticon genannt. Als er das hört, muss Prof. Hans-Christian Schweiker lachen und spinnt — gut gelaunt, eloquent und schlagfertig wie er ist — die Verkürzung seines Vornamens gleich weiter.
„Klingt wie ein Medikament: HC forte. Oder wie Professor h.c. Schweiker — manche nehmen mir das eh nicht ab, dass ich einen echten Professorentitel habe. Die meinen, ich hätte den in Brasilien gekauft.“
Das ist natürlich Quatsch, denn Schweiker ist eine ernstzunehmende und ernstgenommene Größe seines Fachs, aber die Selbstironie steht ihm gut. Und „forte“ (laut) würde auch im musikalischen Sinne auf ihn passen, denn Schweiker ist Professor für Violoncello und Kammermusik an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Aachen, und organisiert als künstlerischer Leiter das Kammermusikfestival „Mai Klassik“ im Alsdorfer Energeticon.
Schon zum sechsten Mal findet das Mai-Klassik-Festival statt, diesmal am Wochenende des 6. bis 8. Mai. Die Initialzündung hatte Schweiker im Jahr 2010 gegeben. Wie es dazu kam und was die Besucher in diesem Jahr erwartet, erzählte er im Interview mit Redakteurin Verena Müller:
Herr Schweiker, wie ist das Mai-Klassik-Festival in Alsdorf entstanden?
Schweiker: Durch Zufall. Ich war zu einem Konzert eines Kammerorchesters im Fördermaschinenhaus eingeladen und mein erster Gedanke war: „Was für ein toller Raum. Aber akustisch kann das nicht funktionieren.“ Aber das Gegenteil war der Fall. Ich war unglaublich begeistert. Viele Leute sagen, dass die Akustik der Umformerhalle der der Herz-Jesu-Kirche in Dahlem nahekommt, dem „Lieblingsaufnahmeort“ der Berliner Philharmoniker, einem Ort mit bester Akustik. Der Meinung bin ich auch. Mir war sofort klar, dass ich hier einen Raum gefunden hatte, in dem ich meinen seit Jahrzehnten anhaltenden Traum, ein Kammermusikfestival zu gründen, umsetzen könnte. Und dann ging alles ganz schnell. Ich habe der damaligen Geschäftsführerin der Energeticon GmbH, Frau Godehardt, meinen Plan eröffnet. Die griff gleich zum Kalender. Seit dem dritten Jahr ist das Festival immer ausverkauft. Das ist eine unglaublich tolle Geschichte.
Sie spielen in wechselnden Besetzungen. Ist es schwierig, Musiker zu finden?
Schweiker: Nein, inzwischen ist es in Musikerkreisen so, dass man sich hinter vorgehaltener Hand zuflüstert: „Wenn der Schweiker anruft, sag zu!“ Hier herrscht einfach eine außergewöhnliche Atmosphäre und im Energeticon arbeiten tolle Leute.
Wie stellen Sie das Programm zusammen?
Schweiker: Wir, und damit meine ich meine Frau und mich, setzen uns immer zusammen hin, nachdem wir Künstler eingeladen haben, und schneidern ihnen das Programm auf den Leib. Wir schreiben kleine Zettelchen und schieben die so lange hin und her, bis es passt. Mal wird ein Duo gebildet, mal ein Sextett.
Ein paar Musiker sind fast schon traditionell dabei. Neben Ihrer Frau Hyun-Jung Kim-Schweiker am Klavier sind das Othmar Müller am Cello und Martin Spangenberg an der Klarinette.
Schweiker: Ja, Othmar Müller ist zum Beispiel ein lieber Kollege aus Wien. Bei zwei Celli sind Intonation und Artikulation oft schwierig, aber bei uns ist das sehr einfach. So ähnlich ist das auch bei den Proben mit Spangenberg. Man spielt einen Satz durch und sagt am Ende: „Ja“, nickt kurz mit dem Kopf, „gut“. Und spielt den nächsten. Das erlebt man ganz selten. Letztens haben wir telefoniert, ich meinte, dass wir in diesem Jahr ja das erste Mal Beethoven op. 38 zusammen spielen würden. „Ja“, meinte Spangenberg da nur, „wir machen es wie immer.“ (lacht)
Neu dabei sind Herbert Kefer an der Viola und Franziska Hölscher an der Violine.
Schweiker: Franziska Hölscher habe ich im vergangenen Jahr das erste Mal spielen hören, danach habe ich sie sofort angerufen. Sie ist eine sehr bescheidene, nette und warme Violinistin. Das passt sehr gut. Kefer ist ein Kollege von Othmar Müller. Nachdem es im vergangenen Jahr terminlich nicht ging, bin ich sehr froh, dass es diesmal klappt. Er hat eine sehr feine und zugleich feurige Art zu spielen. Die siebte im Bunde ist Eszter Haffner, eine sehr ausdrucksstarke Violinistin, mit der ich schön öfter konzertiert habe, die in Graz und Kopenhagen eine Professur hat. Sie ist zum zweiten Mal dabei.
Welche Stücke haben Sie für diesen Mai ausgewählt?
Schweiker: Für den Freitag zum Beispiel das Streichquintett C-Dur „La Musica Notturna delle Strade di Madrid“ von Boccherini, die Pariser Fassung. Die hört sich so an, als würde sich eine Kappelle langsam nähern und an einem vorbeiziehen. Erst leise, dann lauter, dann hört man im Wechsel einzelne Instrumente deutlicher heraus, dann wird es wieder leiser. Das ist toll! Oder einige schöne, ergreifende Stücke von Max Bruch aus den ,Acht Stücken für Klarinette, Viola und Klavier‘.
Sie werden dem Publikum wieder zwischendurch ein paar Hintergründe zum Leben und Werk der Komponisten liefern, nehme ich an?
Schweiker: Ja, mir liegt viel daran, Nähe zu schaffen. Die englische Komponistin Rebecca Clarke zum Beispiel ist, nur weil sie eine Frau war, bei Wettbewerben immer zweite geworden. Nachdem sie nach Amerika ausgewandert war, als Nanny gearbeitet und geheiratet hatte, hat sie das Komponieren schließlich ganz aufgegeben. Das ist sehr schade. Sie war wirklich gut und viel besser als ihre Kollegen. So etwas erzähle ich gerne zwischendurch. Ich muss bei dem Klaviertrio aus dem Jahr 1921, das wir spielen werden, am Rande bemerkt immer an Filmmusik wie Ben Hur denken: Man sieht den leidenden Charlton Heston förmlich vor sich. Eine wirklich beeindruckende Komposition.
Was steht am Samstag auf dem Programm?
Schweiker: Da wird gejodelt!
Jetzt bin ich gespannt: Wer von den Musikern übernimmt das?
Schweiker: Ich! Also, ich jodel auf dem Cello. Bei einer Variation über die Schweiz von Friedrich August Kummer. Als Kontrast folgt unter anderem Béla Bartók, das ist nicht ganz so leichte Kost, aber wir sind ja jetzt schon einiges gewöhnt. Dafür wird es am Sonntag dann wieder etwas eingängiger, mit seiner eigenen Reduktion des berühmten Septetts von Beethoven für Klarinette, Violoncello und Klavier. Glasunow korrespondiert dann mit Arensky vom Freitag, und zum Schluss spielen wir das Klavierquintett Nr. 1 in c-moll von Dohnanyi. Der Sonntag soll eher Matinee-Charakter haben, auch vor dem Hintergrund, dass Muttertag ist.
Sie sprechen oft von der familiären Atmosphäre im Energeticon. Stimmt es, dass man auch in Jeans zum Festival kommen darf?
Schweiker: Von mir aus gerne! Die Musiker fühlen sich hier tatsächlich schnell zu Hause, fühlen sich frei. Und im Publikum sitzt der Kanalarbeiter neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden. Nach dem Konzert werden sie wieder in ihre Autos steigen und in ihre sehr verschiedenen Leben zurückkehren, aber in den Stunden in der Fördermaschinenhalle hören sie die gleiche Musik, nehmen sie die gleiche Stimmung war, empfinden sie gleich. Das ist mir wichtig. Wir wollen zwar Hochkultur nach Alsdorf bringen, ihr aber den elitären Charakter nehmen. Das geht natürlich nur mit entsprechender Unterstützung. Neben dem Veranstalter, dem Energeticon, gilt mein größter Dank deshalb allen Sponsoren.