Kreis Heinsberg : Kriminalität hält sich nicht an Grenzen
Kreis Heinsberg Über 77 Kilometer grenzt der Kreis Heinsberg an die niederländische Provinz Limburg. Seit dem Schengener Abkommen können Menschen entlang dieser 77 Kilometer ohne Passkontrollen vom einen ins andere Land reisen.
Die offenen Grenzen ermöglichen einerseits einen schnellen Besuch und das Shoppen in den Nachbargemeinden. Die offenen Grenzen sind andererseits für Kriminelle ein besonderer Anreiz: Sie hoffen, nach einer begangenen Straftat über die Grenze fliehen zu können und dem Fokus der örtlichen Polizei zu entkommen.
Und tatsächlich: Wenngleich die hiesige Grenze langsam aus den Köpfen der Bevölkerung verschwindet — für die Polizeibeamten in europäischen Grenzregionen existiert sie sehr wohl, weil Polizeistreifen das territoriale Hoheitsgebiet eines anderen Landes nicht ohne Weiteres überschreiten dürfen: „Beim polizeilichen Handeln ist die Grenze da. Wir können sie nicht wegdiskutieren“, sagt Heinz Huben, Leiter der Führungsstelle Direktion Kriminalität bei der Kreispolizei in Heinsberg.
Und dennoch: Die Polizeibeamten im Kreis Heinsberg kooperieren mit ihren Limburger Kollegen mehr, als man glaubt. Sie kennen sich mit Namen, stehen im ständigen Funkkontakt und gehen sogar gemeinsam auf Streife.
Die Basis der Kooperation
Die Basis für diese internationale Polizeiarbeit im Heinsberger Grenzgebiet zwischen Deutschland und den Niederlanden legte das Schengener Abkommen — beziehungsweise das Durchführungsübereinkommen 95. Danach wurden zahlreiche bilaterale Verträge geschlossen, die die alltägliche Polizeiarbeit weiter regeln sollen, erklärt Peter Peters vom Leitungsstab der Heinsberger Polizei. „Eine enge Kooperation war schon von Anfang an erwünscht.“
Seit knapp 40 Jahren treffen sich die Polizeichefs der Euregio im Arbeitskreis „NeBeDeAgPol“. Ziel dieser Treffen ist die Verbesserung der grenzüberschreitenden Kooperation und Sicherheit sowie die Vereinfachung der grenzüberschreitenden polizeilichen Arbeit.
Doch die Heinsberger Kreispolizei wollte mehr. Sie sah den Bedarf, die alltägliche Polizeiarbeit mit den Niederländern auch auf den unteren Ebenen zu vernetzen, sagt Peters: Im Jahr 2006 initiierte sie deshalb den Gesprächskreis „Grenze 77“. Alle zwei Monate treffen sich knapp zehn Beamte der Heinsberger und Limburger Polizeidienststellen und besprechen gemeinsame Themen.
Auf der Agenda stand beispielsweise, wie man die grenzüberschreitende Kommunikation verbessern kann, erklärt Huben. Daraufhin wurde das Funksystem wurde angepasst. Nun stehen deutsche und niederländische Polizeiwagen sowie die Leitstellen im ständigen Funkkontakt.
In Kürze sollen sogar das Technische Hilfswerk und die Feuerwehren beider Länder miteinbezogen werden, erklärt Peter Peters, deutscher Koordinator für internationale Beziehungen bei der Kreispolizei.
Die Sprachkurse
Damit der Kontakt über Funk auch klappt, werden Sprachkurse auf freiwilliger Basis für die Polizisten beider Länder angeboten. „Die Sprachbarrieren abzubauen, hilft schon unglaublich viel, um sich näher zu kommen“, sagt Karl-Heinz Frenken, Pressesprecher der Heinsberger Kreispolizei.
Um die rechtlichen Besonderheiten des jeweils anderen Staates kennenzulernen, wurden gemeinsame Seminare mit gemischten Dozententeams und Teilnehmergruppen durchgeführt. Bewusst setze man diese Lerngruppen international zusammen, damit der persönliche Kontakt zwischen den Beamten hergestellt wird, sagt Heinz Huben: „So lernt man sich kennen.“
Kooperation im Alltag
Und das ist auch nötig: Denn in manchen Situationen werden gemischte Streifen benötigt, wie zum Beispiel beim niederländischen Musikfestival „Pinkpop“. Dann werden deutsche und niederländische Polizisten in Teams losgeschickt, damit das internationale Publikum Ansprechpartner hat, die beide Sprachen sprechen.
Aber man profitiert nicht nur personell von den Nachbarn, sondern tauscht auch ständig Informationen aus, erklärt Peters. Die Behörden beider Länder geben einander einen Überblick darüber, welche Straftaten und Verkehrsdelikte im jeweiligen Beritt verübt wurden.
Diese regelmäßigen Berichte seien von großer Bedeutung, um grenzüberschreitende Serienkriminalität, wie zum Beispiel Einbrüche oder Diebstahl, rechtzeitig zu erkennen, erklären Frenken und Huben. Wenn der Verdacht besteht, dass hinter mehreren Straftaten dieselben Täter stecken könnten, haben die Staatsanwaltschaften beider Länder die Möglichkeit, ein sogenanntes „Spiegelverfahren“ einzuleiten. Dann ermitteln die beide Polizeibehörden parallel und in enger Abstimmung miteinander.
Wenn selbst das nicht fruchtet und die Täter nicht ermittelt werden können, gibt es noch die „Ultima Ratio“, erklärt Huben: das „joint investigation team“, also eine internationale Ermittlergruppe. Ein solches Team sei beispielsweise im Jahr 2012 eingerichtet worden, als eine Serie von Autodiebstählen die Grenzregion in Aufruhr versetzte. Deren Arbeit habe schließlich zum Ziel geführt: Die Diebe wurden gestellt und sogar einen Teil der Beute an die Besitzer zurückgeben.
Die Kompetenzen
Eng zusammenzuarbeiten ist auch nötig, wenn schnelles Handeln gefragt ist, zum Beispiel bei der Verfolgung eines Täters. Heinz Huben skizziert die sogenannte „Nacheile“ am Beispiel eines fiktiven Banküberfalls: Die Täter fliehen, eine deutsche Streife nimmt die Verfolgung auf.
„Wenn es sich abzeichnet, dass sie in Richtung Grenze wollen, informieren wir über unsere Leitstelle die niederländische Leitstelle“. Denn zum Grenzübertritt braucht die deutsche Polizei deren Erlaubnis.
Sofern kein niederländischer Einsatzwagen in der Nähe ist, darf die deutsche Streife den flüchtigen Täter in der Regel weiter verfolgen. Festnehmen dürfen sie die Straftäter auf niederländischem Terrain allerdings nicht, sondern nur festhalten. Die Inhaftierung obliegt den Kollegen des Nachbarlandes.
In der Praxis käme es aber häufig gar nicht so weit: „In der Regel erwartet die niederländische Streife uns schon an oder kurz hinter der Grenze“, sagt Frenken. Früher durften die deutschen Beamten mutmaßliche Täter bis maximal zehn Kilometer hinter der Grenze ins Landesinnere verfolgen, mittlerweile sei der Radius erheblich erweitert worden.
Zur Nacheile in die Niederlande — und auch nach Deutschland — sind einige Voraussetzungen zu erfüllen, sagt Huben: Es muss eine zeitliche Dringlichkeit bestehen, weil der Täter ansonsten entkommen könnte. Außerdem müsse ein schwerwiegender Tatbestand vorliegen: „Es reicht nicht, wenn jemand einen Mülleimer umkippt.“
Weitaus schwieriger wird es für die deutsche Polizei, wenn sie beispielsweise in Sachen Autodiebstahl ermittelt, einen möglichen Täter im Visier hat und diesen in den Niederlanden vermutet: Wenn die deutsche Polizei in den Niederlanden weiter ermitteln will, muss die hiesige Staatsanwaltschaft an die entsprechenden Behörden in den Niederlanden ein „Rechtshilfeersuchen“ beantragen.
Das bedeutet einfach ausgedrückt: Die dortige Staatsanwaltschaft muss ihre Zustimmung dazu geben, wenn in den Niederlanden strafprozessuale Maßnahmen ergriffen werden sollen.
Die Koordination dieser justiziellen Rechtshilfe wird seit einigen Jahren durch das Internationale Rechtshilfezentrum (IRC) in Heerlen wahrgenommen. Um darüber hinaus den Informationsaustausch auf justizieller Ebene im Grenzgebiet zu vereinfachen, wurde das Büro für Euregionale Zusammenarbeit (BES) in Maastricht.
Aus den Gewerkschaftsreihen der Polizei wurde vor kurzer Zeit Kritik an den offenen Grenzen laut, weil sie kriminelle Machenschaften ermögliche.
Für die Heinsberger Polizisten sei die Auswirkung des Schengener Abkommen jedoch eigentlich nur positiv: Denn es habe die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus dem Nachbarland verbessert und intensiviert. Von der Kooperation profitieren sowohl die Limburger als auch Heinsberger Polizeiwachen: „In beiden Ländern erkennen wir dieselben Phänomene, dieselben Probleme. Man kann also voneinander lernen“.