Städteregion : Kontaktabbruch zu den Eltern: „Was haben wir nur falsch gemacht?“
Städteregion „Was haben wir nur falsch gemacht?“ Diese Frage quält Maria Müller (Name geändert) jeden Tag, seit ihr Kind sich von ihr abgewandt hat. „Unser Sohn hat uns verlassen“, erzählt sie. Vor zehn Jahren habe er sich zurückgezogen. Zwar gab es zwischendurch immer mal wieder Kontakt, dann aber auch immer wieder Streit und Funkstille. „Ich grübele über die Gründe, aber ich finde keine Antwort“, sagt Maria Müller.
Zu den Enkeln hat sie nach eigenen Angaben aufgrund der Entfremdung auch keinen Kontakt. Das schmerzt sie sehr. Maria Müller sucht den Austausch mit anderen Betroffenen. Sie möchte eine neue Selbsthilfegruppe für verlassene Angehörige gründen. „Wenn man darüber spricht, geht es besser“, ist sie überzeugt.
Mit Verzweiflung oft alleine
Maria Müller fühlt sich mit ihrer Verzweiflung oft sehr allein. Dabei geht es wahrscheinlich gar nicht wenigen Eltern so wie ihr und ihrem Mann. Belastbare Zahlen sind bis dato nicht vorhanden. Und dass Kinder mit ihren Eltern brechen, darüber wird kaum geredet. Aber als die Aachener Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (Akis) jüngst in der Volkshochschule einen Vortrag mit dem Titel „Auf Nimmerwiedersehen“ organisierte, da war die Resonanz groß. „Der Vortrag war sehr gut besucht“, berichtet Pia van Buggenum-Sonnen von der Kontaktstelle Akis. Das Thema „Verlassene Eltern“ trifft offenbar einen Nerv.
Heilpraktikerin Susanne Fenzl aus Alsdorf hat neulich in der VHS den Vortrag mit dem Titel „Auf Nimmerwiedersehen“ gehalten. „Ein Kind zu verlieren, das ist mit das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann“, sagt sie. Fenzl verfolgt als Heilpraktikerin einen systemischen Ansatz. Sie versucht — jenseits von Schuldgefühlen, Wut und Vorwürfen — mit ihren Patienten die Beziehungen im familiären System zu ergründen.
Die persönliche Familiengeschichte wirke auf Eltern und Kinder und beeinflusse deren Handlungen. „Da sind häufig unbewusste Dynamiken am Werk, manchmal über Generationen, die sich nach außen in Konflikten äußern“, sagt sie. Fenzl ist überzeugt: Wenn Kinder ihre Eltern verlassen, dann gibt es eine Chance auf Annäherung. Aber die Kernthemen, um die es in dem Konflikt geht, die müssen bearbeitet werden.
Erst einmal Funkstille
Und so schwer das für die Betroffenen ist: Fenzl rät verlassenen Müttern und Vätern, die Funkstille erst einmal anzuerkennen. „Briefe oder Anrufe haben immer eine negative Wirkung“, sagt sie. Der Austausch in einer Selbsthilfegruppe, ein Stück gemeinschaftliche Lebenshilfe, könne den Betroffenen helfen, ist Susanne Fenzl überzeugt. Für verlassene Eltern sei es ein schwieriger Schritt zu erzählen, was passiert ist. „Denn jeder will eine gute Mutter, ein guter Vater sein.“ In einer Gruppe von Menschen mit dem gleichen Schicksal erfahre man vielleicht von Strategien, um den Alltag besser zu meistern.
„Ich sage mir immer, ich will loslassen“, sagt Maria Müller. „Aber jeden Tag ist es da. Und ich würde alles dafür tun, dass ich wieder Kontakt zu meinem Sohn haben könnte.“